Johannes Huber

Kommentar

Johannes Huber

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Politik / 13.05.2016 • 22:36 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Dass Sozialdemokraten stolz darauf sind, dass ÖBB-Chef Christian Kern neuer Bundeskanzler und Parteivorsitzender wird, ist nachvollziehbar. Dass aber auch Vizekanzler und ÖVP-Obmann Reinhold Mitterlehner für eine konstruktive Zusammenarbeit offen ist, ist noch viel wichtiger; das ist nämlich die Voraussetzung dafür, dass die Regierung ihre letzte Chance nutzen kann. Anders ausgedrückt: Gegen den Widerstand des Koalitionspartners würde Kern nicht weit kommen; mit ihm ist alles möglich.

Das Wohlwollen, das dem 50-jährigen Wiener schon vor dem Amtsantritt entgegengebracht wird, ist zu einem guten Teil begründet. ÖBB wurde über Generationen hinweg gleichgesetzt mit schäbigen Bahnhöfen, schmutzigen Zügen, unfreundlichen Mitarbeitern, die im besten Alter in Pension gehen, und vor allem hohen Defiziten. Kern hatte das Glück, dass da schon seine Vorgänger angesetzt hatten. Unter seiner Führung seit 2010 ist die Bahn aber erst zu einem Unternehmen mit einem hervorragenden Ruf geworden. Kritiker mögen einwenden, dass dieser besser sei, als es den nackten Zahlen entsprechen würde. Wenn es Kern aber auch als Bundeskanzler schafft, einen solchen Stimmungswandel zu erzeugen, dann hat die Republik schon sehr viel gewonnen.

Österreich hat schließlich genug von Politikern, die Krisen entweder nur kommentieren (wie die Flüchtlingskrise) oder einfach ausblenden (wie die Arbeitsmarktkrise). Notwendig sind Verantwortungsträger, die Mut machen. Zum Beispiel zur Selbstständigkeit. Allein schon das kann zu einem Aufschwung führen.

Wie Kern seinen Job anlegen und ob er erfolgreich sein wird, wird sich naturgemäß erst weisen. Daher sollte man vorsichtig sein mit Prognosen. Auf der anderen Seite aber findet er Voraussetzungen vor, die besser nicht sein könnten.

Die SPÖ liegt am Boden. Das gibt dem neuen Parteichef die Gelegenheit, die Organisation mit neuen Leuten von null auf wieder aufzubauen. Der bisher mächtigste Genosse, Wiens Bürgermeister Michael Häupl, ist wiederum geschwächt wie nie; er hat weder Werner Faymann „helfen“ können, wie er es wollte, noch seinen Wunschkandidaten für die Nachfolge, Medienmanager Gerhard Zeiler, durchsetzen können. Das bedeutet, dass sich Kern nicht durch seine Launen behindern lassen muss. Und dann ist da noch ein Koalitionspartner, der – von Scharfmachern wie Klubobmann Reinhold Lopatka abgesehen – bereit ist, ordentlich zusammenzuarbeiten. Das ist alles in allem mehr, als sich ein neuer Kanzler wünschen kann.

Die größte Gefahr lauert in der Hofburg: Norbert Hofer wird in einer Woche möglicherweise zum Bundespräsidenten gewählt. Doch auch dieses Risiko ist für Kern kalkulierbar: Um nur ja nicht in den Verdacht zu kommen, seinen Parteifreund Heinz-Christian Strache nach oben putschen zu wollen, wird sich der Freiheitliche hüten, die Bundesregierung bei erstbester Gelegenheit zu entlassen. Also wird es ausschließlich an ihr liegen, die verbleibende Zeit bis zur Nationalratswahl im Herbst 2018 zu nutzen. 

Wenn es Kern auch als Kanzler schafft einen Stimmungswandel zu erzeugen, dann hat die Republik schon sehr viel ge­wonnen.

johannes.huber@vorarlbergernachrichten.at
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