„Fehler von 2011 darf sich nicht wiederholen “

in Libyen. Foto: APA
Nach dem Sturz von Gaddafi habe es für Libyen keinen Plan gegeben, sagt Autorin.
wien. Diverse ausländische Mächte hätten unterschiedliche Gruppen in dem nordafrikanischen Land unterstützt.Die Folge davon: Chaos.
Hat der Westen in Libyen alles falsch gemacht?
ramsauer: Nicht alles. Die Intervention 2011 war alternativlos. Diktator Muammar al-Gaddafi stand mit seinen Truppen schon vor Bengasi, es drohte ein beispielloses Massaker. Gefehlt hat aber ein Plan, wie man die Ruinen dieses Staates wieder aufbauen kann. Es gibt ja kein internationales Regelwerk, das anordnet, was nach dem Sturz eines Regimes geschehen soll – vor allem wenn dieser Sturz mit einer Intervention einhergeht. In Libyen haben verschiedene Mächte, also etwa europäische Mächte, manche Golfstaaten, aber auch Regionalmächte wie die Türkei unterschiedliche Gruppen im Land unterstützt. Man hat aber nicht bedacht, dass sich diese Gruppen auch gegeneinander wenden könnten.
Werden so „failed states“ geschaffen?
ramsauer: Man muss das Land ja leider so bezeichnen. Aber war es früher besser? Das Gaddafi-Regime war äußerst repressiv. Und wenn man weiter zurückblickt: Als Libyen 1951 unabhängig wurde, existierten weder eine moderne Gesellschaft noch moderne Strukturen. Die internationale Gemeinschaft muss sich wahrscheinlich damit auseinandersetzen, dass manche Staaten von Grund auf neu aufgebaut werden müssen.
Ist die Einheitsregierung, die von den Vereinten Nationen vermittelt wurde, ein Hoffnungsschimmer? Es existieren derzeit ja mehrere Regierungen nebeneinander.
ramsauer: Ich habe viele Freunde in Libyen, die diesbezüglich sehr skeptisch eingestellt sind. Es gibt ja schon ein frei gewähltes Parlament und eine Regierung in Tobruk. Mit der Einheitsregierung wird nun quasi die illegitime Regierung in Tripolis, die sich nach der Wahl nicht zurückgezogen hat, legitimiert. Dadurch belohnt man das Verhalten dieser Gruppe – und das sind in erster Linie Islamisten.
Derzeit wird wieder über eine Intervention diskutiert. Wäre das sinnvoll?
ramsauer: Meiner Meinung nach wäre es wichtig, sich im UN-Sicherheitsrat auf eine road map, also einen ganz klaren Fahrplan für das Land zu einigen. Wenn es seitens der libyschen Bevölkerung den Wunsch nach einer internationalen Schutztruppe – ich sage nicht Intervention – gibt, dann ist das natürlich eher heute als morgen sinnvoll. Aber wenn man den Fehler von 2011 wiederholt und einzelne Staaten mit schlecht ausgegorenen, nicht aufeinander abgestimmten Plänen verschiedene Gruppen unterstützen, ist das definitiv nicht zielführend.
Wie stark ist die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Libyen tatsächlich?
ramsauer: Das lässt sich ganz schwer sagen. Ich gehöre eher zu jenen, die meinen, dass man den Islamischen Staat in Libyen derzeit überschätzt. Wir wissen sehr wenig über Libyen. Aus Sicherheitsgründen sind nur sehr wenige Reporter und internationale Organisationen im Land. Viele Informationen kommen aus zweiter oder dritter Hand und können nicht unabhängig verifiziert werden.
Zuletzt wurde immer wieder von Hunderttausenden Flüchtlingen gewarnt, die derzeit von Libyen aus nach Europa aufbrechen wollen. Ist das realistisch?
Ramsauer: Es kursiert ja in der französischen Diplomatie die Zahl von 800.000 Menschen. Auch das ist letztendlich nicht überprüfbar. Fest steht, dass ein hoher Migrationsdruck aus der Subsahara über Libyen nach Europa besteht. Ich glaube es wäre wichtig, für die Menschen Perspektiven in den Herkunfts- und in den Transitländern Afrikas zu schaffen. Nur mit Sicherheitsmaßnahmen allein können wir dem Migrationsdruck nicht Herr werden. Außerdem würden wir früher oder später unsere Menschenrechte und unsere Standards verraten.
Zur Person
Petra Ramsauer
… wurde 1969 in Vöcklabruck geboren. Die freie Journalistin und Buch-Autorin, die an der Universität Wien Politikwissenschaft studiert hat, berichtet seit der Revolution 2011 regelmäßig aus Libyen. 2013 erhielt sie den Concordia-Preis für Menschenrechte.
Vortrag und Diskussion mit Petra Ramsauer zum Thema Libyen heute im Spielboden Dornbirn.
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