Dünne Trennlinie

Politik / 25.05.2016 • 22:30 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Österreich ist am Montag knapp davongekommen. Genau 31.026 Stimmen bildeten im zweiten Wahlgang die dünne Trennlinie zwischen einer ungewissen, gefahrvollen Zukunft für das Land und einer hoffnungsvollen Perspektive mit reellen Chancen, die enormen, nun sichtbar gewordenen Spaltungen und Gräben in dieser so polarisierten Nation zu überbrücken und Österreichs Image im Ausland zu korrigieren. Dass die kleine Alpenrepublik plötzlich im Brennpunkt des Interesses der renommiertesten internationalen Medien stand, ist kein Zufall. Der durchschnittliche Österreicher ist sich wohl kaum bewusst (und wenn, reagiert er unwirsch bis aggressiv), dass dieses idyllische, wunderschöne Land im Ausland wegen seiner Vergangenheit und dem jahrzehntelang wenig erfreulichen Umgang mit dieser immer noch mit einem Rest an kritischem Misstrauen beobachtet wird.

So wäre denn auch, wenn Hofer die Hofburg zur Hofer-Burg gemacht hätte, die europäische Öffentlichkeit alarmiert gewesen: Österreich hätte besorgniserregende Signale in ganz Europa ausgesendet, wäre als erste westeuropäische EU-Nation mit einem antieuropäischen Rechtspopulisten als Staatsoberhaupt geworden: Karl Kraus hatte bekanntlich Österreich als „Versuchsstation des Weltuntergangs“ bezeichnet, und schon Friedrich Hebbel schrieb 1862: „Dieses Österreich ist eine kleine Welt, in der die große ihre Probe hält.“

Alexander Van der Bellen hat in seiner ersten Rede als designierter Bundespräsident jene Größe, zugleich Bescheidenheit und Besonnenheit gezeigt, die ihn als künftiges Staatsoberhaupt perfekt qualifiziert. Er hat zur Einheit aufgerufen und die Hand ausgestreckt gegenüber seinem Kontrahenten und dessen Anhängern. Auch hat er traditionsgemäß seine Parteimitgliedschaft bei den Grünen ab sofort ruhend gestellt. Doch wie sieht es im Lager der Wahlverlierer aus? Diese sprechen dunkel von „Unregelmäßigkeiten“ und behalten sich die Anfechtung des Urnengangs vor. Die FPÖ hat sich als schlechte Verliererin geoutet und versucht, VdB als den einzigen in Direktwahl gekürten Repräsentanten des Volkes, zu delegitimieren. War doch eigentlich zu erwarten. Schlimmer noch: Nachdem gegen die Moderatorin des TV-Duells, Ingrid Thurnher, Ende letzter Woche in den „sozialen“ Medien ein Shitstorm von unbeschreiblicher Aggressivität und Obszönität losgebrochen war, ergehen sich frustrierte Hofer-Anhänger am extremen rechten Rand der FPÖ in unverhüllt kruden Gewaltfantasien. Van der Bellen wird offen bedroht, sogar mit Anschlägen auf seinen Wohnsitz. Das Innenministerium nimmt diese Drohungen „sehr sehr ernst“ und die Spezialeinheit Cobra hat VdBs Personenschutz drastisch verstärkt.

Norbert Hofer hätte, im Gegensatz zu VdB, seine FPÖ-Mitgliedschaft vermutlich nicht wirklich neutralisiert, sondern hätte wohl weiterhin als Handlanger Straches fungiert und dafür gesorgt, dem Chef der laut Umfragen stärksten Partei die Hebel der Macht in die Hände zu legen. Knapp davongekommen? Dass die Hälfte der österreichischen Wähler bedenkenlos für den Repräsentanten einer Partei votiert hat, die ihre Ursprünge im Nazi-Sumpf hat und gegen Ausländer sowie die EU (von der insbesondere die burgenländische Heimat Hofers enorm profitiert hat…), ist besorgniserregend. Hofers am Sonntag hingeworfener Satz, falls er nicht Bundespräsident werde, so doch Strache gewiss Bundeskanzler, ist bereits die zweite Drohung, die von dem ach so sympathisch wirkenden Herrn mit Gehstock und Pistole zu vernehmen war. Österreich, das jetzt so knapp davongekommen ist, könnte sich eines Tages tatsächlich wundern.

Die FPÖ hat sich als schlechte Verliererin geoutet.

charles.ritterband@vorarlbergernachrichten.at
Dr. Charles E. Ritterband ist Journalist und Autor sowie langjähriger
Auslandskorrespondent der Neuen Zürcher Zeitung (seit 2001 in Wien).

Du hast einen Tipp für die VN Redaktion? Schicke uns jetzt Hinweise und Bilder an redaktion@vn.at.