Alle gegen IS und jeder gegen jeden

Doppelangriff auf IS-Hochburg in Syrien. Erdogan gegen Kurden.
raqqa, bagdad. An den Ufern des Euphrat läuft die erste größere Bodenoffensive gegen den Islamischen Staat (IS), seit diesem das irakische Tikrit und syrische Palmyra entrissen wurden. Diesmal handelt es sich um einen koordinierten Doppelangriff auf die IS-Hochburg Raqqa in Syrien und Falluja im Irak. Die Gegner der sunnitischen Terrormiliz setzen dabei vorzüglich jene Waffen ein, denen der IS vor bald zwei Jahren seinen Blitzsieg im gesamten Nordwesten des Irak zu verdanken hatte: Schnelle, wendige, geländegängige Lkw.
Der IS hingegen ist in die Defensive gegangen. Nur im äußersten Nordosten ist er noch offensiv, wo ihm im Großraum Aleppo bei Malea und Azaz schwächere Assad-Gegner gegenüberstehen. Wer sonst zwischen dem syrischen Regime und seiner noch schlimmeren IS-Alternative steht, hat sich mit dem „Volkssturm“ (YPG) der Kurden und US-Spezialeinheiten zu den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) zusamengeschlossen. Diese standen Anfang der Woche 60 km vor Raqqa, ursprünglich einer Siedlung von schon durch den Zaren aus dem Kaukasus vertriebenen Tscherkessen. Sie waren die ersten, die dort mit dem IS gemeinsame Sache machten. Was dazu führte, dass der Ort zur ersten Hauptstadt des IS vor der Einnahme von Mossul im Juni 2014 wurde. Raqqa wird daher weit ernsthafter als Falluja verteidigt werden. Seine Einnahme passt weder der Türkei noch der Islamischen Republik Iran ins Konzept. Präsident Recep Tayyip Erdogan eifert chronisch gegen die PYG-„Terroristen“. Aber auch der „Oberste Lenker“ in Teheran, Ayatollah Ali Khamenei, hat sich gegen jeden Kurdenstaat oder auch nur Autonomie ausgesprochen.
Die irakische Offensive will daher vor einem Fall von Raqqa an die kurdisch dominierten SDF nicht nur in Falluja, sondern ebenso in Mossul stehen. Das Hauptgewicht des irakischen Angriffs liegt bei schiitischen Milizen, die ziemlich direkt aus Teheran gerüstet und kommandiert werden. Es handelt sich um den halbstaatlichen Haschd asch-Schaabi (Volksmobilmachung) und zwei völlig eigenständige Wehrverbände: Die noch zur Saddam-Hussein-Zeit aus schiitischen Flüchtlingen auf iranischem Boden gebildete „Badr-Armee“ und die Harakat Hezbollah al-Nujaba, die „Bewegung der edlen Partei Allahs“, einen besonders fanatischen Haufen.
Keine westlichen Berater
In diesem fast rein schiitischen Heerlager vor Falluja fehlen daher im Unterschied zu Syrien amerikanische und andere westliche Berater und Kommandos. Hingegen wurde zum Wochenende dort am unteren Euphrat ein hoher Befehlshaber der iranischen Waffen-SS „Pasdaran“ gesichtet, Kassem Soleimani. Er kommandiert die Spezialeinheit „Jerusalem-Brigade“, die für Einsätze außerhalb der Islamischen Republik dient. Das gemahnt daran, dass Iran nicht nur den IS und die Kurden, sondern erst recht Israel und weiter den Westen im Visier hat.
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