“Handelt sich um gesamtgesellschaftliches Phänomen”

Publizist Thomas Rammerstorfer über Radikalisierung in europäischen Ländern.
schwarzach. (VN-ram) Sympathisanten der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), brennende Asylheime oder rechtsextreme Reichsbürger: Radikalisierungtendenzen beschäftigen Europa. Der freie Journalist Thomas Rammerstorfer, der sich in seinen Vorträgen und Publikationen intensiv mit Extremismus auseinandersetzt, identifiziert diesbezüglich zwei Hauptprobleme in (west-)europäischen Gesellschaften: „Das sind einerseits Rechtsextreme, die sich sowohl auf legalem Wege als auch militant betätigen, und andererseits dschihadistische Salafisten, also Sympathisanten des IS.“
Von einem Zeitalter der Extreme will der Experte aber nicht sprechen. „Die meisten Demokratien Europas sind stabil.“ Gleichzeitig hält er fest: „Es kann schnell gehen, dass auch europäische Regionen durch ethnische und religiöse Fanatiker zerstört werden.“ Als Beispiele nennt er Ex-Jugoslawien in den 1990er-Jahren, aber auch die Ostukraine und die Türkei.
Nicht auf Junge beschränkt
Rammerstorfer erklärt, das Thema Extremismus dürfe nicht auf junge Menschen, die Verschwörungstheorien aus dem Internet aufsitzen, reduziert werden. „Jugendliche äußern sich wohl radikaler. Wir haben es aber mit einem gesamtgesellschaftlichen Phänomen zu tun. Wenn die Kompetenz fehlt, Nachrichten von Hetze und Fakes zu unterscheiden, ist das ein Problem, egal ob man 15 oder 50 ist.“
Die Flüchtlingskrise sei weniger ein Katalysator für die Zunahme rechtsextremer Positionen in Europa gewesen, sondern eher ein Vorwand und eine Projektionsfläche für Ängste und Propaganda, sagt der Journalist. „Gibt es keine Flüchtlinge, wie beispielsweise in vielen Staaten Osteuropas, sucht man sich andere Feindbilder, etwa Homosexuelle, einheimische Minderheiten oder Juden.“ Der Siegeszug rechtspopulistischer Parteien in vielen Mitgliedsländern der Europäischen Union führe dazu, dass rechte Positionen salonfähig werden: „Bürgerliche, zum Teil auch Sozialdemokraten, übernehmen die Sprache der Rechten, oft auch deren Inhalte.“
Bei migrantischen Communities könnten Konflikte in den Heimatländern, wie derzeit etwa in der Türkei, zu einer verstärkten Politisierung und Mobilisierung führen. „Natürlich gibt es auch extremistische Gruppierungen, die davon profitieren und Jugendliche rekrutieren“, schildert Rammerstorfer. Sobald der Konflikt aber wieder abflaue oder man sich an ihn gewöhnt habe, beruhige sich die Lage erfahrungsgemäß wieder. Insgesamt gebe es nur einen „kleinen harten Kern überzeugter Fanatiker.“
Und wie sieht die Lage in Vorarlberg aus? Die rechtsextremistische Szene sei zwar nicht groß, aber überdurchschnittlich gewalttätig, erklärt Rammerstorfer. „Dazu kommt ein ausgeprägtes Milieu von Rockern bzw. rockerähnlichen Gruppierungen, die sich zum Teil nach ethnischen und politischen Gesichtspunkten organisieren.“ Wie in ganz Österreich boome die Szene der Verschwörungstheoretiker. Auch die türkischen rechtsextremen „Grauen Wölfe“ seien flächendeckend präsent, immer wieder komme es zu Konflikten mit Kurden oder links eingestellten Türken. Anders sehe es bei den Salafisten aus. Abgesehen von einem kleinen Lebenszeichen im November in Form einer Koran-Verteilung in Bregenz (die VN berichteten), sei es in diesem Bereich eher ruhig geworden, schildert der Experte.
Wenn es keine Flüchtlinge gibt, sucht man sich andere Feindbilder.
Thomas Rammerstorfer
Zur Person
Thomas Rammerstorfer
wurde 1976 in Wels geboren. Der freie Journalist schreibt und referiert über Extremismus und Jugendkulturen. Heute ab 19.30 Uhr hält Rammerstorfer einen Vortrag zum Thema „Die extremistische Herausforderung“ im Spielboden Dornbirn.