“Die meisten Bundespolitiker unterschätzen die Bevölkerung klar”

Die Einstellung zu Flüchtlingen ist wesentlich positiver, als man meinen könnte.
Wien. (joh) „Soll Österreich seine Grenzen dichtmachen und keine Flüchtlinge mehr aufnehmen?“ Wenn man sich vor Augen führt, dass die politische Debatte in diese Richtung geht, dann überraschen die Ergebnisse einer Befragung, die das Sozialforschungsinstitut SORA durchgeführt hat: 46 Prozent stimmen dem „sehr“ oder „ziemlich“ zu. 50 Prozent tun das dagegen „wenig“ oder „gar nicht“. Die umgekehrte Fragestellung untermauert dieses Stimmungsbild: „Ist es unsere Pflicht, Flüchtlinge aufzunehmen und menschenwürdig unterzubringen?“ 71 Prozent unterstützen diese Aussage „sehr“ oder „ziemlich“, 25 Prozent tun das „wenig“ oder „gar nicht“. Soll heißen: Die Mehrheit ist nach wie vor hilfsbereit.
Ein anderes Bild
„Die meisten Bundespolitiker unterschätzen hier die Bevölkerung klar“, erklärt SORA-Chef Christoph Hofinger: Sie vermuteten, dass eine Mehrheit ausschließlich negativ gegenüber Flüchtlingen eingestellt ist. „Fundierte Sozialforschung ergibt jedoch ein anderes Bild“, so Hofinger. Bei maximal einem Fünftel bis einem Viertel herrsche die völlige Ablehnung vor. Alle anderen seien entweder eindeutig für eine Unterstützung der Fremden oder im Zwiespalt, jedenfalls aber für humanitäre Botschaften erreichbar. Vor allem Bürgermeister wüssten das; sie sind schließlich näher dran an den Leuten und ihren Sorgen.
Die eingangs erwähnte Umfrage hat Hofinger im Auftrag des Landes Oberösterreich Ende 2016 ebendort durchgeführt. Grosso modo deckt sie sich seiner Einschätzung nach aber mit den Verhältnissen anderswo. Wobei eine Sache entscheidend ist: persönlicher Kontakt mit Fremden. Wo er vorhanden ist, da hellt sich die Meinung auf.
Begegnung mit Flüchtlingen
Bernd Klisch, der die Flüchtlingshilfe der Vorarlberger Caritas leitet, kann das bestätigen: „Begegnungen mit geflüchteten Menschen haben eine positive Wirkung auf die Grundeinstellung zu diesen“, berichtet er aus seiner täglichen Arbeit: „Wenn ich einem Menschen begegne, der von seiner Flucht erzählt, bekommt das Thema plötzlich ein Gesicht. Dann wird mir klar: Ich hätte auch so gehandelt.“ Nachsatz: Das helfe auch, Rückschläge bei der Integration besser zu bewältigen.
In Oberösterreich haben die Meinungsforscher festgestellt, dass die Aufnahme von Flüchtlingen erfreulich klappt: 68 Prozent der rund 700 befragten Frauen und Männer erklärten, in ihrer Wohngemeinde habe sie „sehr “ oder „eher gut“ funktioniert.
Zum Vergleich: 27 Prozent sprachen von „eher“ oder „sehr schlecht“. Wobei eines auffällt: Werden dieselben Leute außerdem gefragt, wie es im gesamten Land gegangen sei, fällt das Urteil nicht so positiv aus; dann antworten nur noch 56 Prozent mit „sehr“ oder „eher gut“ bzw. ganze 36 Prozent mit „eher“ oder „sehr schlecht“.
Hofingers Erklärung: „Was in der eigenen Gemeinde läuft, ist geprägt von unmittelbaren Wahrnehmungen und Erfahrungen. Das geht offenbar meistens unaufgeregt und pragmatisch.“
Darüber hinaus falle eher die Berichterstattung über politische Debatten und bestimmte Vorfälle ins Gewicht; sie rücke weniger Gelingendes als Verstörendes in den Vordergrund – und das prägt die Einstellung zum Thema denn auch entsprechend.
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