1425 Tage eingeschlossen

Politik / 05.04.2017 • 22:38 Uhr / 3 Minuten Lesezeit
Belagertes Sarajevo: Vor dem Parlament (weißes Gebäude) und dem Holiday Inn (gelbes Gebäude) wurde am 6. April 1992 demonstriert. HRJ
Belagertes Sarajevo: Vor dem Parlament (weißes Gebäude) und dem Holiday Inn (gelbes Gebäude) wurde am 6. April 1992 demonstriert. HRJ

Heute vor 25 Jahren begann die Belagerung von Sarajevo, die dreieinhalb Jahre dauerte.

SARAJEVO. Die Lage in der Stadt ist angespannt. Immer mehr Demonstranten versammeln sich vor dem Parlamentsgebäude in Sarajevo. Im Hotel Holiday Inn gegenüber bricht Chaos aus.

Es ist Montag, der 6. April 1992. Soeben hat die Europäische Gemeinschaft – der Vorläufer der EU – die Unabhängigkeit Bosnien-Herzegowinas anerkannt. (Die USA werden das einen Tag später tun.) Wie tags zuvor demonstrieren auch heute vor dem Parlament Zehntausende Bosniaken, Serben und Kroaten für ethnische Einheit und Frieden. Auf einmal stürmen bosnische Polizeieinheiten das Holiday Inn und durchsuchen einen Raum nach dem anderen. Sie nehmen bewaffnete Serben fest, die gestern auf die Demonstranten geschossen und fünf von ihnen getötet haben sollen. Den politischen Anführer der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, wollen die Polizisten auch. Dessen Partei SDS (Serbisch Demokratische Partei) hat im Hotelgebäude ihr Hauptquartier eingerichtet. Doch Karadzic hat Sarajevo bereits verlassen.

Nach dem Sturm auf das Holiday Inn attackieren serbische Paramilitärs die Polizeiakademie im Stadtteil Vraca und nehmen mehrere Polizisten in Geiselhaft. Sie wollen damit die Freilassung der mutmaßlichen Todesschützen erzwingen. Zudem hat die bosnisch-serbische Armee damit begonnen, die Stadt mit schweren Artilleriegeschützen wie Panzer und Mörser zu umstellen.

An diesem Tag beginnt die Belagerung von Sarajevo, die 1425 Tage dauern wird. Während der längsten Blockade in der Geschichte des 20. Jahrhunderts sterben 11.541 Menschen, darunter 1601 Kinder. Rund 50.000 werden verletzt, rund 10.000 gelten auch 25 Jahre später noch als vermisst.

„Nichts als Bohnen“

Am 6. April 1992 detonieren auch die ersten Granaten in der Stadt. Und ab diesem Tag wird die sechs Kilometer lange Hauptstraße Smaja od Bosne, die sich durch die ganze Stadt zieht, zur „Sniper Alley“. Scharfschützen zielen auf alles, was sich in dieser Todeszone bewegt. Menschen, Tiere, Fahrzeuge. An einen kleinen Patienten wird sich Amela D., Anästhesistin im städtischen Krankenhaus, immer erinnern: „Da war dieser kleine Bub. Ein Scharfschütze hat ihn beschossen und schwer verletzt. Das Kind hat alles, was es im Magen hatte, auf meinen weißen Mantel erbrochen. Da waren nur Bohnen. Nichts als Bohnen.“ 

In den folgenden Tagen und Wochen wird durch den heftigen Granaten- und Bombenbeschuss die Infrastruktur der Stadt zerstört. Strom und Wasser fallen aus. Lebensmittel und Heizmaterial werden bedrohlich knapp. In den Spitälern mangelt es an Versorgungsmaterial.       

Mit Sarajevos Belagerung ist der Krieg in ganz Bosnien-Herzegowina ausgebrochen.

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