“Ein Bürgerkrieg ist vorstellbar”

Politik / 05.10.2017 • 22:43 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
"Ein Bürgerkrieg ist vorstellbar"

EU-Kommissar warnt vor Eskalation. Verfassungsgericht verbietet Plenarsitzung.

madrid, barcelona Der Graben zwischen Madrid und Barcelona wird immer tiefer. Nun hat das spanische Verfassungsgericht, wenige Tage vor der erwarteten Unabhängigkeitserklärung Kataloniens, die dafür vorgesehene Sitzung des katalanischen Parlamentes verboten. Berichtet wurde das am Donnerstag von spanischen Medien unter Berufung auf Justizkreise. Die katalanischen Sozialisten (PSC) – strikte Gegner der Separatisten – hatten Beschwerde gegen die Sitzung eingereicht, weil sie die Verfassung verletze und die Rechte der Abgeordneten missachte. Das Regionalparlament wollte am Montag zusammentreten, um die Konsequenzen aus der Volksabstimmung zu ziehen, bei der sich die große Mehrzahl der Abstimmenden für die Unabhängigkeit von Spanien ausgesprochen hatte. Schon das am Sonntag durchgezogene Referendum war von der Justiz untersagt worden, allerdings ohne Konsequenzen.

Dialog abgelehnt

Der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy lehnt jeden Dialog mit der Regionalregierung Kataloniens ab. In der Nacht zum Donnerstag wies er ein neues Gesprächsangebot der Separatisten energisch zurück. „Sie haben schon viel Schaden verursacht, ziehen Sie die Drohung einer Abspaltung zurück“, hieß es in einem Kommunique an Carles Puigdemont, Kataloniens Regierungschef.

Puigdemont hatte Madrid zuvor zu Verhandlungen aufgerufen. Er habe bereits viele Vermittlungsangebote erhalten und „es wäre unverantwortlich“, diese nicht anzunehmen, erklärte der 54-Jährige in einer Fernsehansprache in Barcelona. Gleichzeitig stellte er klar, dass die Pläne zur Ausrufung der Unabhängigkeit auf jeden Fall verwirklicht werden sollen.

Rajoys Amtsvorgänger und Parteifreund Jose Maria Aznar kritisierte die Passivität der Regierung und betonte, Madrid müsse alle in der Verfassung verankerten Artikel in Betracht ziehen. Damit wird auf den Artikel 155 angespielt, der es der Regierung ermöglichen würde, die Regionalregierung zu entmachten und die Kontrolle über die autonome Region zu übernehmen. Beobachtern zufolge wird diese Option immer wahrscheinlicher.

Falls Rajoy sich dazu nicht durchringen könne, müsse er den Spaniern die Möglichkeit geben, selbst zu entscheiden, wer das Land aus der Krise führen soll, hieß es mit Blick auf mögliche Neuwahlen. Madrid dürfe keinesfalls weiter „im Nichtstun“ verharren.

Lage besorgniserregend

EU-Kommissar Günther Oettinger warnte vor der Gefahr einer dramatischen Eskalation: „Die Lage ist sehr, sehr besorgniserregend. Da ist ein Bürgerkrieg vorstellbar, mitten in Europa“, sagte er bei einer Podiumsdiskussion in München. „Man kann nur hoffen, dass zwischen Madrid und Barcelona bald ein Gesprächsfaden aufgenommen wird.“ Die EU könne sich in den Streit aber nicht aus eigenem Antrieb einmischen, sagte Oettinger. „Eine Moderation durch die EU wäre nur denkbar, wenn wir gefragt werden, aber nicht ungefragt.“

Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy (r.) lehnt den Dialog mit Kataloniens Präsident Carles Puigdemont (l.) ab.   reuters
Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy (r.) lehnt den Dialog mit Kataloniens Präsident Carles Puigdemont (l.) ab.   reuters

Kampf um Unabhängigkeit

Nicht nur Katalonien strebt nach Unabhängigkeit. Separatismus-Tendenzen gibt es derzeit auch in anderen Ländern Europas. Beispiele:

 

Baskenland Schon im Mittelalter haben die Basken von der spanischen Krone weitgehende Autonomie erhalten. Fast 50 Jahre lang kämpfte die Untergrundorganisation ETA für einen von Spanien unabhängigen Staat. Bei Anschlägen kamen Hunderte Menschen ums Leben. 2011 erklärte die ETA den Verzicht auf Gewalt und verübt nun keine Anschläge mehr.

 

Korsika Auf der französischen Insel im Mittelmeer gibt es seit Jahrzehnten Bestrebungen für mehr Eigenständigkeit – oft gewaltsam, mit Anschlägen von Separatisten, etwa auf Behördengebäude oder Ferienhäuser von Festlandfranzosen. 2014 legte die Korsische Nationale Befreiungsfront FLNC allerdings die Waffen nieder. Zugleich gewannen nationalistische Kräfte in der Politik an Bedeutung.

 

Schottland Die Pläne für ein neues Referendum über die Abspaltung von Großbritannien hat Regierungschefin Nicola Sturgeon zwar vorerst auf Eis gelegt, vom Tisch sind sie aber nicht. Wenn mehr Details über den britischen EU-Austritt bekannt sind, will Sturgeon noch diesen Herbst erneut abstimmen lassen. Beim Referendum 2014 hatten sich die Schotten gegen eine Unabhängigkeit entschieden.

 

Flandern In Belgien setzen die Flamen auf Separatismus. Dabei besteht Belgien nur aus Flandern, wo Niederländisch gesprochen wird, und dem französischsprachigen Wallonien. Für die Abspaltung Flanderns kämpft die „Neue Flämische Allianz“ unter Bart De Wever, die bei den belgischen Parlamentswahlen 2014 stärkste Kraft in Flandern wurde. De Wever ist überzeugt, dass die Flamen ohne Wallonen wirtschaftlich besser dran wären. Tatsächlich ginge Belgien bei einer Trennung deutlich mehr als die Hälfte der Bevölkerung und Wirtschaftskraft verloren.