Das letzte Wort
Hand aufs Herz: Wem trauen Sie vernünftigere Entscheidungen zu? Der Bevölkerung oder gewählten Politikern? Können unsere Probleme besser durch direkte Abstimmungen vom Volk gelöst werden oder mit Hilfe von Beschlüssen im Parlament? Bei dieser Frage gibt es keine richtige Antwort. Je nach Erfahrung und Menschenbild wählen Sie eine der beiden Möglichkeiten. Diese Auswahl entscheidet aber, ob Sie den geplanten Ausbau der direkten Demokratie befürworten oder nicht.
Für die FPÖ ist die Stärkung der direkten Demokratie nach Schweizer Vorbild eine Grundbedingung für ihre Regierungsbeteiligung. Das war zumindest ihre Position, als ihre Rolle noch Opposition lautete. Jahrelang hat Jörg Haider die Regierungsparteien mit Volksbegehren thematisch vor sich hergetrieben. „Österreich zuerst“, seine erfolgreichste Initiative, unterschrieben 1993 fast 420.000 Österreicher.
Die damaligen Forderungen in diesem landläufig als „Ausländer-Volksbegehren“ bekannten Paket klingen heute fast harmlos. Umgesetzt wurden sie ohnehin schon längst von SPÖ und ÖVP in gemeinsamer Koalition. In Zukunft sollten nach Vorstellung der FPÖ 250.000 Unterschriften reichen, um gegen den Willen der Koalitionsparteien eine verpflichtende Volksabstimmung durchzuführen. Dann hätte die Bevölkerung statt des Parlaments das endgültig letzte Wort bei Gesetzesbeschlüssen. Ob der FPÖ das auch recht sein wird, wenn sie selbst in der Regierung sitzt, wird sich zeigen. Denn Oppositionsparteien wie SPÖ oder gar die Grünen könnten ihre Mobilisierungsmacht gegen das türkis-blaue Feindbild nützen und so den Reformeifer der neuen Bundesregierung schnell herunterbremsen.
Das gern zitierte Schweizer Vorbild unterscheidet sich aber in einem zentralen Punkt, den die FPÖ gerne verschweigt. Die Schweizer Zauberformel garantiert, dass Parteien nicht Koalitionen nach Belieben bilden, sondern die großen in der Regierung immer am Tisch sitzen. Unabhängig davon, ob sie bei einer Wahl einmal verlieren oder gewinnen. In Österreich hingegen wurde dieser Proporzgedanke in den letzten Jahren weitgehend abgeschafft.
Volksabstimmungen ohne ausgleichende Mechanismen wie Proporzregierung oder Sozialpartnerschaft können zum Tanz auf dem Pulverfass werden. Die Manipulation der Bevölkerung für die Erreichung von parteipolitischen Zielen wird die Unzufriedenheit steigern. Ob die Bevölkerung das Gesamtinteresse im Auge behält, muss sie erst beweisen. Ebenso wie ihr Interesse, sich für diese Beteiligung ausreichend zu informieren. Denn dann kostet Demokratie jeden einzelnen wirklich Zeit und nicht nur Geld.
Demokratie ist ein komplexes Zusammenspiel von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft. Jede Machtausübung muss dabei kontrolliert und begrenzt werden. Das bedeutet, dass auch die Mehrheit nicht immer Recht hat. Jedenfalls hat sie nie das Recht, sich über die Interessen von Minderheiten hinwegzusetzen. Und wenn Sie ein tiefes Misstrauen gegenüber unseren Politikern hegen, sollten wir uns alle die Frage stellen, warum sie dann gewählt wurden.
„Volksabstimmungen ohne ausgleichende Mechanismen können zum Tanz auf dem Pulverfass werden.“
Kathrin Stainer-Hämmerle
kathrin.stainer-haemmerle@vn.at
FH-Prof. Kathrin Stainer-Hämmerle, eine gebürtige Lustenauerin, lehrt Politikwissenschaften an der FH Kärnten.
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