Schotten blicken nach Katalonien

Melanie Sully: Dass die EU sich nicht in Krise einmischt, sorgt für Enttäuschung.
barcelona Die Katalonien-Krise lässt weiterhin die Wogen hochgehen. Tausende Unabhängigkeitsbefürworter sind in der Vorwoche auf die Straße gegangen, sie forderten bei einem Generalstreik die Freilassung der entmachteten Regierungsmitglieder. Die Politiker sitzen in Untersuchungshaft; ihnen werden Rebellion, Aufruhr und Veruntreuung öffentlicher Gelder vorgeworfen. Auch dem ehemaligen Regionalregierungschef Carles Puigdemont und anderen Ex-Ministern, die sich nach Belgien abgesetzt haben und eine Auslieferung befürchten müssen, drohen lange Haftstrafen. Kommende Woche ist eine Anhörung vor einem Untersuchungsgericht angesetzt.
Harte Maßmahmen
Der Konflikt hat sich an einem illegalen Unabhängigkeitsreferendum entzündet, bei dem sich eine klare Mehrheit der Katalanen – bei nur knapp 40 Prozent Wahlbeteiligung – für eine Loslösung der wirtschaftsstarken Region von Spanien ausgesprochen hatte. Nach der Unabhängigkeitserklärung des Regionalparlaments reagierte die Zentralregierung mit Härte: Sie setzte die katalanische Regierung ab und übernahm die Verwaltung des autonomen Landesteils.
Die Ereignisse in Katalonien haben starke Auswirkungen auf eine andere Region mit Unabhängigkeitstendenzen, nämlich Schottland, erläutert die Politologin Melanie Sully, die in Wien das Go- Governance-Institut betreibt. Die SNP von Regionalregierungschefin Nicola Sturgeon, die sich wegen des bevorstehenden EU-Austritts Großbritanniens für ein neues Unabhängigkeitsreferendum stark gemacht hat, hege sehr starke Sympathien für die Katalanen. „Die Krise sorgt in Schottland für Enttäuschung. Im Ernstfall würde nämlich keine Unterstützung von der Europäischen Union kommen“, erläutert Sully. Die EU hat mehrmals darauf verwiesen, dass sie die Katalonien-Krise als eine innere Angelegenheit Spaniens betrachtet.
Einheit als Priorität
Auch von der früheren Regierung in Katalonien sei wohl gehofft worden, dass die EU eine Vermittlerrolle einnehme, sagt Sully. „Für die EU besteht die Nummer-eins-Priorität aber darin, dass sie zusammenbleibt.“ Das sehe man auch bei den Brexit-Verhandlungen, bei denen die 27 verbleibenden Staaten einen geschlossenen Block bilden. Ein schottisches Unabhängigkeitsreferendum vor März 2019, dem Zeitpunkt, an dem die Briten aus der EU ausscheiden, ist jedenfalls unwahrscheinlich, erklärt die Politologin. „Und wenn es nach dem Brexit eine Übergangsfrist gibt, ist der Wunsch nach Abspaltung wohl auch gering.“ Bei einem ersten Referendum 2014 hatte sich noch eine Mehrheit der Schotten gegen eine Abspaltung ausgesprochen. Nach dem Brexit-Votum im Vorjahr brachte Sturgeon allerdings ein zweites Referendum ins Spiel. Die Schotten waren mehrheitlich für den Verbleib Großbritanniens in der EU, wurden aber überstimmt.