Nur nebensächlich?
Fußball ist bekanntlich die wichtigste Nebensache der Welt. Doch in Italien verdrängt heute die Niederlage der Squadra Azzura mit dem Nationalhelden und Langzeittorhüter Gianluigi Buffon jedes andere Gesprächsthema. Erstmals seit 60 Jahren findet eine Fußball-WM-Endrunde ohne die italienischen Fußballkünstler statt.
Die Verbindung Sport, Nationalstolz und Politik ist in Italien besonders eng. Der ehemalige AC-Milan-Präsident Silvio Berlusconi benannte seine Partei „Forza Italia“ nach dem bekannten Ruf der Schlachtenbummler und rückte mit ihr zum Ministerpräsident auf. Große Sportereignisse wie Weltmeisterschaften dienen der Politik aber auch gerne als Bühne zur Inszenierung. So gesehen ist die Nichtteilnahme im autoritären Putin-Russland vielleicht doch nicht so schade.
Doch der starke Mann Wladimir Putin ist in Russland weit weniger umstritten als bei uns diskutiert, so wie der Ruf nach „starken Männern“ (es können auch Frauen sein), die sich nicht um Wahlen oder Parlament kümmern, überall lauter wird. Befragungen in Österreich, aber auch in anderen Ländern, zeigen seit Jahren eine Tendenz zur Geringschätzung der Demokratie. Zuletzt hat SORA im Rahmen seiner Befragung zur Nationalratswahl erhoben, dass nur mehr knapp die Hälfte der FPÖ-Wähler der Aussage „Demokratie mag Probleme mit sich bringen, aber sie ist besser als jede andere Regierungsform“ zustimmt.
Besonders bedenklich: Die FPÖ war bei Wählern unter 30 Jahren die stärkste Partei. Auch das deckt sich mit anderen Umfragen: Jungen Generationen scheint es nicht mehr so wichtig, in einer Demokratie zu leben. Glücklicherweise sind ihnen Erfahrungen der Unterdrückung und Unfreiheit in einem autoritären System erspart geblieben und Frieden und Sozialstaat selbstverständlich geworden. Dennoch zeigt es ein Versäumnis von Bildung und Erziehung, den Wert von Demokratie auch ohne diese schmerzhaften persönlichen Erfahrungen zu vermitteln.
Menschen, die gegenüber autoritären Politikangeboten aufgeschlossen sind, fühlen sich gleichzeitig ohnmächtig und überfordert von dieser komplexen Welt. Sie wehren Mehrdeutigkeiten ab, sind unsicher und verlieren das Vertrauen nicht nur in Politik, sondern auch in ihr Umfeld und vor allem in die Zukunft. Offensichtlich fühlen sich junge Menschen nicht mehr in der Lage, diese Welt zu begreifen und ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten. Kompetenzen, die ihnen im Laufe ihres Erwachsenwerdens eigentlich mitgegeben werden sollten.
Ein italienischer Fußballfan hat eine bestechende Erklärung für das Ausscheiden seiner Mannschaft gefunden: „Wir haben uns zu wenig um unseren Nachwuchs gekümmert.“ Bei der Demokratie sollten wir nicht denselben Fehler machen. Demokratische Werte müssen jeder Generation neu vermittelt werden. Demokratische Aushandlungsprozesse müssen mit jeder Generation neu gelebt und geübt werden. Denn Demokratie ist viel mehr als nur die wichtigste Nebensache der Welt.
„Befragungen zeigen seit Jahren eine Tendenz zur Geringschätzung der Demokratie.“
Kathrin Stainer-Hämmerle
kathrin.stainer-haemmerle@vn.at
FH-Prof. Kathrin Stainer-Hämmerle, eine gebürtige Lustenauerin, lehrt Politikwissenschaften an der FH Kärnten.
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