Sozialdemokratische Orientierungskrise

Erst auf Reformparteitag in einem Jahr soll Klarheit geschaffen werden.
Wien Die Nationalratswahl ist geschlagen, die SPÖ muss sich in jeder Hinsicht neu aufstellen: Sie ist künftig wohl nicht mehr in der Regierung, sondern auf der Oppositionsbank. Sie muss sich angesichts von Schulden in zweistelliger Millionenhöhe finanziell sanieren. Und sie muss vor allem auch ein inhaltliches Angebot erstellen.
Was das betrifft, gibt es erhebliche Differenzen. Das wurde auch auf einer mehrtägigen Klausur führender Genossen um den Bundesvorsitzenden und Noch-Kanzler Christian Kern in einem Wiener Gartenhotel deutlich, die gestern zu Ende ging. Klarheit wird es noch lange nicht geben. Beziehungsweise erst auf einem Reformparteitag, den Kern für Oktober 2018 ankündigte.
Die inhaltlichen Differenzen lassen sich am besten zwischen dem scheidenden Wiener Bürgermeister Michael Häupl und Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil festmachen, der demnächst ins Burgenland wechselt – zunächst als Landesrat und längerfristig als Nachfolger von Landeshauptmann Hans Niessl. Geht es nach Häupl, dann soll die Sozialdemokratie eine „Städtepolitik“ entwickeln, also vor allem Menschen in Ballungsräumen umwerben. Doskozil lehnt das ab; als „Ersatz-Grüne“, die noch dazu glauben, nur Akademiker ansprechen zu müssen, werde man scheitern, sagt er.
Kern bemühte sich um einen Spagat: Er sieht die Partei in der „progressiven Mitte“, die 95 Prozent der Österreicher erreichen soll; sowohl Menschen in den Zentren als auch viele in den ländlichen Gebieten.
Bei der Nationalratswahl selbst hat sich die SPÖ freilich eher in die Häupl’sche Richtung bewegt: Am erfolgreichsten war sie in den Städten. Dort hat sie außerdem weniger Arbeiter als vielmehr Akademiker angesprochen. Bei diesen war sie laut einer Wahltagsbefragung des Sozialforschungsinstituts SORA mit mehr als 30 Prozent ähnlich stark wie die Volkspartei.
Damit können zu viele SPÖ-Spitzenvertreter jedoch nichts anfangen: Wie Doskozil in alter Tradition eher wieder die Arbeiterschaft ansprechen möchte, tut das auch der Wiener Wohnbaustadtrat Michael Ludwig, der Ende Jänner auf einem Landesparteitag Häupl an Stadt- und Parteispitze beerben möchte. Wobei der 56-jährige schon seit Monaten einziger Kandidat ist: Seine Widersacher bis hin zu Häupl höchstpersönlich haben bisher keinen Gegenbewerber mit Erfolgsaussicht präsentiert.
Mit der künftigen Führung Wiens wird sich in der SPÖ in zweieinhalb Monaten voraussichtlich sehr viel entscheiden. Auch mit dem Abschneiden bei den vier Landtagswahlen vom 28. Jänner bis 22. April in Niederösterreich, Tirol, Kärnten und Salzburg; dort kann die Partei zurzeit in keinem einzigen Fall mit Zugewinnen rechnen. JOH