„Nach links zu rücken, wird nicht reichen“

Publizist: Für SPÖ wird es schwierig, in die Oppositionsrolle zu finden.
dornbirn Wohin steuert Österreich nach der Wahl? Mit dieser Frage setzt sich der Journalist und Autor Robert Misik bei einem Vortrag in Dornbirn auseinander. Im VN-Interview fällt er ein kritisches Urteil über das Meinungsklima im Land.
Sie gelten als Kritiker von Schwarz-Blau. Wie bewerten Sie die Koalitionsverhandlungen?
misik Vieles wissen wir noch nicht. Etwa, wie grob die Einschnitte in die sozialen Sicherheitssysteme ausfallen werden oder ob es zum Einstieg in so etwas wie ein direktes Demokratiemodell kommt. Ebenso bleibt offen, ob Institutionen der Sozialpartnerschaft zerschlagen oder doch nur ein bisschen gekappt werden. Es wäre absurd, Regierungsprogramme zu kritisieren, die man nicht kennt. Ich habe aber den Eindruck, dass die FPÖ versucht, die Verhandlungen hinauszuzögern, erstens, um nicht von der ÖVP über den Tisch gezogen zu werden, und zweitens, um zu signalisieren: „Wir machen es uns nicht leicht.“
Sebastian Kurz hat die ÖVP erfolgreich auf Linie gebracht. Bleibt das so?
misik Ich glaube nicht. Der Aufstand der Länder hat zum Teil schon begonnen, ebenso der Widerstand innerhalb des Parlamentsklubs, als er Karlheinz Kopf als Nationalratspräsident abgesetzt und durch Elisabeth Köstinger ersetzt hat. Die Phase, in der sich alle hinter Kurz geschart haben, ist wohl vorbei. Deshalb versucht er meiner Meinung nach die Koalitionsverhandlungen – im Gegensatz zur FPÖ – zu beschleunigen. Damit keine Zeit für lautes Gemurmel innerhalb der Partei bleibt.
Warum hat das Migrationsthema so eine dominierende Rolle im Wahlkampf gespielt?
misik Was die Diskurslage angeht, ist Österreich schon in den letzten zwei, drei Jahren auf die schiefe Bahn geraten. Das hat auch mit der medialen Situation zu tun. Vergleicht man die Berichterstattung über das Migrationsthema in der deutschen „Bild Zeitung“ und dem österreichischen Boulevard, handelt es sich bei der „Bild“ schon fast um ein linksliberales Qualitätsorgan. In Österreich hat sich eine migrationskritische Einheitsmeinung etabliert. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass wir immer eine starke freiheitliche Partei hatten. Nun ist aber auch die ÖVP auf diesen Zug aufgesprungen. Im Wahlkampf gab es kaum mehr eine Kraft, die dagegen gesteuert hat, auch nicht die Sozialdemokratie.
Die SPÖ hat etwa mit dem Stammtischvideo auf dieses Thema gesetzt.
Misik Das war ein Fehler. Man wollte in diesem Klima nicht als einzige Partei dastehen, die etwas anderes zu dem Thema sagt. Das kann man verstehen, aber natürlich ist es falsch. Irgendwann wissen die Menschen nicht mehr, wofür die SPÖ steht.
Die Partei sucht derzeit nach ihrer neuen Rolle. Muss sie in der Opposition linker werden?
misik Ich denke, in der Endphase des Wahlkampfes hat sich die SPÖ schon relativ weit links positioniert. Mit Blick auf die Rhetorik wurden beim Thema Gerechtigkeit viele Anleihen bei Jeremy Corbyn und Bernie Sanders genommen. Gleichzeitig muss man dazusagen, dass die Partei ihren Wahlkampf nicht aus der Opposition heraus führen konnte, sondern aus dem Bundeskanzleramt. Jetzt ändert sich die Situation. In der Opposition kann sich die SPÖ konturierter, linker positionieren, muss aber andererseits deutlich machen, dass sie die Regierung jederzeit übernehmen könnte. Zuletzt hat die SPÖ diese Rolle zwischen 2000 und 2006 ausgeübt, ansonsten war sie seit 1970 in der Regierung. Es wird schwierig für sie, sich in der Opposition zu definieren. Sie braucht dabei auch die richtigen Leute und funktionierende Strukturen. Derzeit ist die Partei organisatorisch gesehen ja nicht in einem wahnsinnig guten Zustand, da gibt es genug zu tun. Es wäre zu einfach zu sagen, es reicht, wenn man nach links rückt.
Zur Person
Robert Misik
geboren am 3. Jänner 1966 in Wien, ist als politischer Schriftsteller und Journalist, unter anderem für den „Standard“ und die deutsche „taz“, tätig. Im Bruno Kreisky Forum für internationalen Dialog leitet Misik die Veranstaltungsreihe Genial dagegen.
Robert Misik hält heute Abend einen Vortrag im Spielboden Dornbirn. Eintritt ab 19.30 Uhr.