Anfang der Sozialdemokratie
„Wer sich in Wahlen um politische Verantwortung bewirbt, der darf sich nicht drücken, wenn man sie in den Händen hält“, richtet der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kritisch seiner Partei aus. Denn statt dem Aufbruch nach Jamaika bleibt Angela Merkel für eine Regierungskoalition nur noch die SPD. Doch die will nicht. Parteichef Martin Schulz hofft lieber auf ein besseres Ergebnis bei Neuwahlen und mehr Augenhöhe mit der mächtigen Kanzlerin. Die Wähler werden ihm wohl kaum den Gefallen tun und eher die AfD zur lachenden Dritten machen.
Nicht-zusammen-Wollen der zwei größten Parteien: Diese Situation ist Österreichern wohl vertraut und sollte mit dieser Wahl überwunden sein. Die Regierungsverhandlungen in Wien laufen rund wie es scheint, auch wenn nach außen nicht viel dringt außer Erwartbares, weil im Wahlkampf sowohl von ÖVP als auch FPÖ versprochen. Die SPÖ suchte rasch ihr Heil in der Opposition und sie wird kaum in Verlegenheit kommen, ihre Entscheidung zu rechtfertigen. Selbst wenn sie doch noch als Juniorpartner einspringen müsste.
Für die Krise der Sozialdemokratie in Europa gibt es zwei gängige Erklärungen. Die eine lautet, dass die Erfolge der ehemaligen Arbeiterpartei sie selbst überflüssig gemacht habe. Arbeitern wurde in ihrer Not geholfen, ihnen Bildungs- und Aufstiegschancen in den Mittelstand verschafft, gerechte Löhne und menschenwürdige Arbeitsbedingungen erkämpft. Bereits der große liberale Denker Ralf Dahrendorf erkannte, dass sich viel ändert, wenn bei einer Bewegung statt der Veränderung der Welt nur mehr die Bewahrung des Erreichten im Mittelpunkt steht. Es fehlt der Sozialdemokratie an der überzeugenden positiven Utopie.
Weil – und das führt zum zweiten Erklärungsansatz – Sozialdemokraten begannen, im Nadelstreif und heute im Slimfit-Anzug zu regieren und sich ihre Lebensläufe kaum von jenen anderer Parteien unterscheiden. Gerhard Schröder als „Genosse der Bosse“ oder auch Franz Vranitzky, der als Bankdirektor ins Finanzministerium und schließlich ins Bundeskanzleramt wechselte, boten kaum Identifikationsflächen für jene Hackler, die sie wählen sollten. Die in Regierungsverantwortung notwendigen Kompromisse in Wirtschaftsfragen ließen die Sozialdemokratien schließlich in allen Ländern als wortbrüchig gegenüber ihrer Basis dastehen. Dass heute der höchste Anteil von FPÖ-Wählern im Wiener Gemeindebau zu finden ist, zeigt wohl am deutlichsten, dass Dankbarkeit keine politische Kategorie ist. Die Armutszahlen in Deutschland und Österreich beweisen aber auch die aktuelle Notwendigkeit von sozialdemokratischen Ideen.
Die eigene Befindlichkeit darf dabei nicht im Vordergrund stehen. Es ist verantwortungslos, wenn die Weigerung, Regierungsverantwortung zu übernehmen, ein ganzes Land in Neuwahlen stürzt und mit Deutschland ganz Europa zu wanken beginnt. Aber in diese Verlegenheit kommt die österreichische Sozialdemokratie ohnehin nicht.
„Die in Regierungsverantwortung notwendigen Kompromisse ließen die Sozialdemokratien als wortbrüchig dastehen.“
Kathrin Stainer-Hämmerle
kathrin.stainer-haemmerle@vn.at
FH-Prof. Kathrin Stainer-Hämmerle, eine gebürtige Lustenauerin, lehrt Politikwissenschaften an der FH Kärnten.
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