Die Entflechtung des Staates

ÖVP und FPÖ wollen Kompetenzwirrwarr beenden und beraten offenbar Ländervorschlag.
Wien Je nach Gesprächspartner ist der österreichische Föderalismus Fluch, Segen oder von beidem ein bisschen was. Unbestritten ist jedoch seine Mitverantwortung für den „Kompetenzdschungel“ der Republik, wie es die ÖVP in ihrem Wahlprogramm formuliert. Auch die FPÖ fordert eine Entflechtung der Zuständigkeiten, mit der Tendenz, den Ländern mehr Spielraum zu geben. Beide Koalitionsverhandler können sich eine Steuerhoheit der Bundesländer vorstellen. Derzeit testen sie diese beim Wohnbauförderungsbeitrag aus. Der Pilotversuch hat laut Karoline Mitterer vom Zentrum für Verwaltungsforschung (KDZ) allerdings seine Grenzen: „Das Volumen ist mit einer Milliarde Euro relativ klein. Außerdem kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Länder die Abgaben in den nächsten Jahren anheben oder senken werden. Ein Wettbewerb ist also nicht zu erwarten.“ Mitterer steht diesem ohnehin kritisch gegenüber: „Ich bin dafür, den kooperativen Föderalismus zu überarbeiten.“ Dafür wären aber vor allem vertrauensbildende Maßnahmen nötig. „Zwischen Bund und Ländern ist ein gewisses Misstrauen erkennbar.“ Das hemme eine gute Kooperation, meint die KDZ-Expertin. Neun getrennte Systeme aufzubauen, habe aber einfach keinen Sinn.
Die Reform des Bundesstaates zählt zu den unendlichen Geschichten der Republik. Treibende Kräfte sind bereits mehrfach daran gescheitert. Dem Vernehmen nach wollen die Koalitionsverhandler von ÖVP und FPÖ einen weiteren Anlauf wagen. Offenbar diskutieren sie ernsthaft über die Möglichkeit, den Artikel 12 aus der Bundesverfassung zu streichen. Damit kämen sie einem Wunsch der Landeshauptleute nach. Artikel 12 regelt in einigen Bereichen, dass der Bund für die Gesetzgebung über die Grundsätze zuständig ist und die Länder für Ausführungsgesetze und die Vollziehung. Dies gilt etwa für das Armenwesen (Stichwort: Mindestsicherung), für die Jugendfürsorge und Krankenanstalten. „Das sind wenige, aber nicht kleine Bereiche“, meint Verwaltungsjurist Peter Bußjäger. Den Artikel 12 zu streichen, wäre ein ambitioniertes Projekt mit völlig offenem Ergebnis. Dieses hänge von der Kompetenzaufteilung ab, sagt er.
Bekenntnisse für eine entsprechende Entflechtung gibt es jedenfalls genug. Allerdings hakte es bisher an der Umsetzung. Sollte Artikel 12 tatsächlich Geschichte werden, müsste die Kompetenzaufteilung konsequenterweise über diesen Passus hinausgehen, meint Bußjäger, der unter anderem auf das Schulwesen verweist. Der dortige Kompetenzwirrwarr ist ein bekanntes Beispiel, das auch schon mehrfach vom Rechnungshof angeprangert wurde. Jüngster Ausdruck des föderalen Dilemmas sind die Bildungsdirektionen, also die Bund-Länder-Mischbehörden in der Schulorganisation.
Würde Artikel 12 einfach gelöscht, ohne die Kompetenzen vorab zu klären, falle den Ländern automatisch alles zu, erklärt Bußjäger. Das aber wird wohl nicht im Sinne des Bundes sein.
„Wenn man Artikel 12 streicht, ohne die Kompetenzen zu klären, fällt alles den Ländern zu.“