Vorarlberg, selbstständiger Staat
„Nachtigall, ick hör Dir trapsen“, sagen die Berliner, wenn sie eine üble Vorahnung haben. Ein passender Vorarlberger Dialektspruch für dieses spezielle Gefühl muss wohl noch gefunden werden, wir werden ihn nämlich schon bald öfter brauchen, wenn die Pläne der Wiener Koalitionsverhandler die Krankenkassen betreffend so weitergedeihen.
Klar ist: Gesund ist das System der Krankenversicherungen ganz und gar nicht. 18 Versicherungsträger, die Unfallversicherung AUVA, die Pensionsversicherungsanstalt und die Versicherungsanstalt des Notariats bilden zusammen das, was wir unter Sozialversicherung verstehen. Man darf sich sinnbildlich fragen: Wie viele Dienstwagen es wohl benötigt, um die Vorstände durch die Gegend zu karren? Sebastian Kurz will das ändern. Er denkt dabei offenbar zuerst an die neun Länderkassen. Obwohl: Genaues weiß man nicht, weil die Koalitionsverhandler so gut wie nichts nach außen dringen lassen, und die modernisierte ÖVP im Wahlkampf vage genug blieb. So wird schon kolportiert, auch die Überführung der Landeskrankenhäuser in Bundesaufsicht sei im Gespräch. Also fahren die Länder ihre Geschütze auf.
Der Vorarlberger Gebietskrankenkasse wird viel Bedeutung beigemessen, sie ist eine der reicheren Kassen, die bei einer Zusammenlegung verlieren würde, wenn sich alles nach unten nivelliert. Das aktuelle Jahr zeigt, was passieren kann. Operativ positiv, reißt der Strukturausgleichsfonds die VGKK ins Minus, um finanzmarode Kassen in anderen Bundesländern zu stützen. Die Vorarlberger haben schon einmal mobil gemacht gegen die „Kassenplünderung“, wie das vor 15 Jahren hieß. 110.000 Vorarlberger leisteten eine Protest-Unterschrift. Heute hat die VGKK über 30 Millionen angespart, für schlechte Zeiten. Geld, das in Vorarlberg wirken soll und für die Vorarlberger. Insgesamt haben die unterschiedlichen Krankenversicherungen 3,7 Milliarden Euro auf der hohen Kante. Geld, das der Bund sonstwo nicht so schnell auftreibt.
Deshalb macht aus Bundessicht eine Zusammenlegung der Länderkrankenkassen für Politiker, die zur Finanzierung der Wahlversprechen 14 Milliarden Euro finden müssen, monetär bestimmt Sinn. Aus der Sicht der Vorarlberger Bürger arbeitet das Land seit Generationen von Landeshauptmännern aktiv daran, sich da und dort finanziellen Spielraum aus dem System zu schneiden. Wenn schon kein direkter Steuerwettbewerb mit anderen Bundesländern möglich ist …
Natürlich könnte man die Vorarlberger Illwerke dazu verwenden, um Kärtner Schulden zu tilgen. Dem Land Vorarlberg und seinen Bürgern würde das Vermögen allerdings fehlen. Im Fall der Krankenversicherung bestimmt der finanzielle Spielraum, wie gut die Versorgung ist, aber eine harte Politik bei dem, was bezahlt wird, hilft auch, verantwortungsvoll zu wirtschaften.
Nicht nur Sebastian Kurz wird zu beweisen haben, wie sehr er tatsächlich Föderalist ist. Die neue ÖVP wird zu demonstrieren haben, wie föderalistisch sie (noch) ist. Entgegen früheren Verhandlungen, bei denen auch Vorarlberger Landeshauptleute am Tisch saßen, verhandelt Markus Wallner die Koalitionspapiere nicht mit, genauso wenig irgendein anderer Landes-Chef.
Zieht man die Landesverfassung Vorarlbergs zu Rate, steht dort nicht, dass die Länder all das ausführen, was der Bund beschlossen hat. Dort steht, dass Vorarlberg „als selbständiger Staat alle Hoheitsrechte ausübt, die nicht ausdrücklich dem Bund übertragen sind oder übertragen werden“.
Vielleicht plant der Bund im Gegenzug zu den Kassen ja die Übergabe wichtigerer Kompetenzen an die Länder. Zum aktuellen Zeitpunkt wissen wir das allerdings nicht. Auch deshalb wäre es wichtig, dass die Koalitionsverhandler ihre Pläne offenlegen.
„Klar ist: Gesund ist das System der Krankenversicherungen ganz und gar nicht.“
Gerold Riedmann
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Gerold Riedmann ist Chefredakteur der Vorarlberger Nachrichten.
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