Warten auf die großen Bissen
Zwei Parteien, 25 Fachgruppen, zehn Chefverhandler. Woche sechs der Koalitionsgespräche von ÖVP und FPÖ bricht an. Noch lässt sich der angekündigte neue Stil kaum an Inhalten messen. Hingegen aber äußert er sich in der ungewöhnlich präsenten Harmonie und daran, dass aus den Verhandlerkreisen ungewöhnlich wenig an die Öffentlichkeit dringt.
Derzeit hangeln sich die schwarzen und blauen Politiker häppchenweise von einem Konsens zum nächsten. Die Krux an der Sache ist allerdings, dass sie die großen Bissen bisher schuldig bleiben. Über Personalien haben sich ÖVP und FPÖ offiziell noch nicht einmal unterhalten. Ebenso wenig scheint die Finanzierung ihrer Vorhaben geklärt zu sein.
Will ÖVP-Chef Sebastian Kurz bis Weihnachten die Regierung gebildet haben, drängt langsam die Zeit. Schließlich haben die Chefverhandler erst drei Pakete geschnürt und damit lediglich Häppchen geliefert.
Für das vollständige Menü fehlt vor allem der Hauptgang – es fehlen jene Projekte, die im Wahlkampf eine tragende Rolle gespielt hatten. Die schwarz-blaue Harmonie könnte damit erstmals auf die Probe gestellt werden.
Völlig konträr stehen sich ÖVP und FPÖ nämlich in Sachen Kammerpflicht gegenüber. Die Blauen wollen sie abschaffen, die Schwarzen nicht. Erst kürzlich stellte sich Noch-Wirtschaftsminister und Wirtschaftsbund-Obmann Harald Mahrer klar hinter die Pflichtmitgliedschaft.
Einen gewichtigen schwarz-blauen Unterschied gibt es auch in Sachen direkte Demokratie, pochen die Freiheitlichen doch auf eine deutlich niedrigere Hürde für Volksabstimmungen. Außerdem wollen sie die Bürger zum Freihandelsabkommen CETA befragen, was für die ÖVP nahezu ausgeschlossen scheint, gilt sie doch – völlig anders als die FPÖ – als Befürworterin des Pakts mit Kanada.
Das Versprechen – sowohl von Kurz als auch FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache – als ersten Regierungsakt die Lohnnebenkosten für Betriebe sowie die Lohn- und Einkommenssteuer zu senken, birgt in der Überschrift zwar keine Differenzen, aber in den Details viele Fragezeichen. Das Volumen der möglichen Steuerreform ist ebenso offen wie die Details zur Gegenfinanzierung. Die angekündigte Entlastung von über zehn Milliarden Euro wäre jedenfalls ein ambitioniertes Projekt, wollen ÖVP und FPÖ doch auch noch Staatsschulden senken und ein Nulldefizit erreichen.
Das sogenannte „Ausgabenproblem“ sei unter anderem mit einer Strukturreform zu lösen, meinen die Koalitionsverhandler. Sie werden die zersplitterten Kompetenzen aber nur ordnen können, wenn sie das auch den Ländern schmackhaft machen. Gleiches gilt bekanntlich für die Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger.
Nun ist also die Zeit gekommen, den Bürgerinnen und Bürgern all die Vorhaben zu servieren. Einfach wird das nicht. Vor allem nicht in den wenigen Tagen, die noch bis Weihnachten bleiben. Nichtsdestotrotz steigt eineinhalb Monate nach der Wahl für ÖVP und FPÖ der Druck zu liefern und zu zeigen, ob sie tatsächlich imstande sind, ihre groß angekündigten Wahlversprechen zu halten.
„Will ÖVP-Chef Sebastian Kurz bis Weihnachten die Regierung gebildet haben, drängt langsam die Zeit.“
Birgit Entner
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