Nachbarn
Österreich ist zwar ein kleines, aber in seiner Ost-West-Ausdehnung von 580 Kilometern im europäischen Maßstab doch eher beachtliches Land – reist man, wie ich gestern, von Feldkirch nach Wien, empfiehlt es sich angesichts der langen Fahrt, per Autozug und Schlafwagen nach Osten zu reisen. Nicht nur die Ost-West-Dimensionen sind erheblich und die Mentalitäts- und Sprachunterschiede zwischen Wien bzw. Niederösterreich und dem „Ländle“ – auch die Nachbarn in Ost und West könnten unterschiedlicher kaum sein. Im Westen die Schweiz, mit ihrer Stabilität, Neutralität und der direkten Demokratie in Österreich oft als Vorbild zitiert. Im Osten das nationalkonservative, illiberale Ungarn des „Viktators“ Viktor Orban (wie ihn seine Gegner ironisch nennen), der die Demokratie in seinem Land immer mehr aushöhlt.
Zwischen diesen gegensätzlichen Nachbarn, im Spannungsfeld dieser beiden Pole in Ost und West, liegt Österreich. Eine stabile parlamentarische Demokratie, deren Juniorpartner an der Regierung aus populistischen Motiven mit dem schweizerischen Demokratiemodell liebäugelt. Der Chef der größeren Regierungspartei, Kanzler Kurz, gratulierte seinem Kollegen Orban vorbehaltlos zu seinem Wahlerfolg und verkündete, dass er sich „auf eine weitere Zusammenarbeit“ freue. Das sind durchaus übliche Formeln unter Regierungschefs, protokollarisch-höflicher Usus unter EU-Partnern. Mehr noch: Orban surft immer noch äußerst erfolgreich auf der Flüchtlingsangstwelle – der ja schließlich das Tandem Kurz-Strache genauso die Macht im Staate zu verdanken hat (wenngleich auch der Überdruss an Rot-Schwarz und allgemeinem Stillstand eine ebenso wichtige Rolle spielte).
Dennoch – gar so freundlich müsste man mit „Viktator“ Orban nicht umgehen. Die deutsche Kanzlerin Merkel hielt sich subtil aber unverkennbar zurück mit ihrer Gratulation zum Wahlsieg Orbans, was angesichts der krassen Meinungsdivergenzen in der Flüchtlingsfrage auch nicht weiter verwundert. Bemerkenswert hingegen ist die Haltung von Othmar Karas, des Leiters der ÖVP-Delegation im Europaparlament. Ähnlich wie Merkel ging Karas auf Distanz. Er verwies, ganz im Gegensatz zu seinem Parteifreund Kurz, auf die antisemitischen Strategien Orbans, auf den Anti-Migrations und Anti-EU-Kurs von Orbans Regierungspartei Fidesz sowie auch auf die Korruptionsvorwürfe in Orbans Umfeld. Die Europäische Volkspartei EVP hatte Orban wegen dessen Volksbefragung unter dem Motto „Stoppt Brüssel“ persönlich mit einem Ausschlussverfahren gedroht. Gewiss, man darf Orbans Einfluss in der EU auf keinen Fall überschätzen. Dennoch: deutliche Signale an Orban wären unter EU-Partnern angebracht – und sie hätten auf die bilateralen Beziehungen gewiss keine nachhaltigen Auswirkungen.
„Deutliche Signale an Orban wären unter EU-Partnern angebracht.“
Charles E.
Ritterband
charles.ritterband@vn.at
Dr. Charles E. Ritterband ist Journalist und Autor sowie langjähriger Auslandskorrespondent der Neuen Zürcher Zeitung (seit 2001 in Wien).