„Es gibt keinen Dialog mehr“

Westen und Russland bewegen sich auf ähnliche Konstellation wie im Kalten Krieg zu, sagt Politologe.
dornbirn Der Ton zwischen Russland und den westlichen Ländern verschärft sich. Im Vergleich zur Vergangenheit sind die Beziehungen sogar ein Stück weit unberechenbarer geworden, gibt der Politologe Gerhard Mangott im VN-Interview zu bedenken. Der Russland-Experte war auf Einladung der „Wir sind Europa!“-Initiative von Land, WKV und IV in Vorarlberg.
Befinden wir uns in einer ähnlichen Lage wie im Kalten Krieg?
mangott Wir haben eine Situation, in der es keinen Dialog mehr gibt, jedenfalls keinen institutionalisierten Dialog zwischen der Europäischen Union und Russland, aber auch zwischen den USA und Russland. Auch scheinen, anders als im Kalten Krieg, in bestimmten Bereichen plötzlich keine Regeln mehr zu gelten. Die Beziehungen sind unberechenbarer geworden. Grundsätzlich war der Kalte Krieg als Gegensatz zwischen zwei Regierungsformen und Wirtschaftskonzepten hochideologisiert, es gab eine hohe Militarisierung und der Konflikt zwischen den USA und der Sowjetunion hat die gesamte internationale Politik geprägt. Anhand dieser drei Kriterien können wir feststellen, dass wir uns auf eine Konstellation wie im Kalten Krieg hinbewegen, aber wir sind noch nicht dort.
Inwiefern?
mangott Das Verhältnis wird gerade von US-Seite als Auseinandersetzung zwischen liberalen Demokratien und illiberalen autoritären Herrschaftsformen beschrieben. Man bemüht sich, dem Ganzen eine ideologische Dimension zu geben, die aber nicht so prägend ist wie der frühere Gegensatz zwischen Kapitalismus und liberaler Demokratie sowie Kommunismus und Volksrepublik. Die Remilitarisierung auf beiden Seiten ist in vollem Gange. Im Vergleich zum Kalten Krieg bestimmt allerdings der Gegensatz zwischen dem Westen und Russland noch nicht die gesamte internationale Politik. Das wäre immer noch der größte Unterschied zur Situation im Kalten Krieg.
Der Giftanschlag auf den Ex-Agenten Sergej Skripal und seine Tochter Yulia in Salisbury hat zuletzt eine diplomatische Krise ausgelöst. War die massenhafte Ausweisung russischer Diplomaten gerechtfertigt?
Mangott Man hätte erst die Untersuchung der Experten der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) abwarten können. Das halte ich für die seriösere und professionellere Herangehensweise. Die britische Regierung und andere EU-Staaten haben sich anders entschieden. Sie wollten nicht zuwarten, haben sich auf die britischen Angaben verlassen und dann wie Großbritannien russische Diplomaten ausgewiesen.
Russland ist mit seinem Bestreben gescheitert, in die Ermittlungen miteinbezogen zu werden.
Mangott London argumentierte, man könne nicht Opfer und Täter an einen Tisch bringen. Das ist eine polemische Aussage. Solange wir den Täter nicht kennen, können wir ja nicht davon sprechen, Opfer und Täter an einen Tisch zu bringen. Es wäre hilfreich gewesen, wenn die Experten der OPCW zusammen mit russischen und britischen Spezialisten Proben vom Tatort untersucht hätten. Allerdings hat sich auch Russland unverantwortlich verhalten. Es hat den Ernst der Lage lange nicht erkannt.
Österreich hat bei der Ausweisung russischer Diplomaten nicht mitgemacht und sich auf die Neutralität berufen. Ist das sinnvoll?
mangott Die Neutralität ist kein gutes Argument. Aber es gibt andere Begründungen. Wie ich das einschätze, geht es den handelnden Personen im Bundeskanzleramt und vor allem Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) um eine Abwägung: Entweder wir gehen den konfrontativen Weg weiter und wir landen dann dort, wo wir im Kalten Krieg waren. Oder wir versuchen wieder einen Dialog mit Russland in Gang zu setzen, insbesondere zwischen den Institutionen der EU und Russland. Österreich will sich hier anbieten, das hängt auch mit der EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2018 zusammen. Das ist eine riskante Strategie. Erstens wird Österreich dann erst recht verdächtigt, eine Art Sonderverhältnis mit Russland anzustreben. Und zweitens tut Russland vielleicht nicht das, was Österreich hofft, dass es tut.
Zeigt sich anhand dieser Frage eine Spaltung der EU?
Mangott Ja. Es waren zwar nur einige wenige Staaten, die ähnlich wie Österreich gehandelt und keine russischen Diplomaten ausgewiesen haben. Allerdings glauben auch andere Mitgliedsländer, dass es wieder eine Art Dialog geben muss. Da ist Österreich nicht isoliert. Aber diese Position ist auch nicht mehrheitsfähig. Daher würde es für die Ratspräsidentschaft schon sehr viel Geschick und Glück erfordern, um innerhalb der EU die Bereitschaft zum institutionalisierten Dialog mit Russland wirklich auch herzustellen.

Zur Person
Gerhard
Mangott
Der Politologe (geb. 1966) ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck mit den Schwerpunkten Internationale Beziehungen und Sicherheit im postsowjetischen Raum.