Appell für einen unabhängigen Islam

Propagandastücke in ATIB-Moscheen könnten keine Einzelfälle sein.
Wien Kinder in Tarnanzügen verkleidet oder als gefallene Soldaten unter türkischen Flaggen: Diese Szenen spielten sich in den vergangenen Jahren zumindest in zwei Wiener Moscheen ab, die zum türkischen Moscheen-Verband ATIB gehören. Entsprechende Fotos belegen das. Nun überprüft das im Bundeskanzleramt angesiedelte Kultusamt, ob diese Fälle gegen das Islamgesetz verstoßen. Die Schließung der betroffenen Moscheen und die Auflösung der ATIB stünden ebenfalls im Raum. Der türkisch-islamische Verein betreibt über 60 Gebetshäuser in Österreich. Die meisten davon gibt es in Vorarlberg mit 13.
Politologe Thomas Schmidinger hält es für möglich, dass nicht nur in Wiener ATIB-Moscheen türkische Propagandastücke von Kindern aufgeführt werden. Ein Indiz, dass es sich um keine Einzelfälle handeln könnte, seien Bilder aus Deutschland, die ähnliche Kriegsspiele zeigten. Außerdem sei die ATIB eine zentralisierte Organisation, in der Dinge normalerweise parallel stattfänden.
Der Moscheen-Dachverband ATIB gilt als verlängerter Arm der Türkei. Generell würden sämtliche seiner Vereine jenen Nationalismus und Islam propagieren, der türkische Regierungslinie ist, sagt Schmidinger. Die von der Regierung erwägte Auflösung der ATIB hält er für rechtlich schwierig. Es könne aber geprüft werden, ob sich der Dachverband und seine Vereine an das im Islamgesetz festgeschriebene Verbot der Auslandsfinanzierung halten. In Österreich brauche es jedenfalls einen unabhängigen Islam. Er dürfe auch nicht von der türkischen Regierung gesteuert sein, sagt der Politologe. Das habe nicht nur mit Geld zu tun, sondern ebenso mit Bewusstseinsbildung. So benutze die Türkei ihren gesamten Propagandaapparat, um auch im Ausland Regierungspolitik zu betreiben und ihre dortigen Communities auf Linie zu halten. Um dem entgegenzutreten, brauche es in Österreich kreativere Lösungen als nur Verbote, hält Schmidinger fest. Er kann sich eine „Exil-Uni“ für jene Akademiker vorstellen, die in der Türkei Berufsverbot haben. Auch davon betroffene Journalisten könnten einen demokratischen Gegenentwurf im Land bieten, schlägt der Politologe vor: „Der Kampf muss aufgenommen werden. Man darf den Wettbewerb um die Köpfe der Türkei-stämmigen Bevölkerung in Österreich nicht der türkischen Regierung überlassen.“ VN-ebi
„ATIB ist eine zentralisierte Organisation, in der Dinge normalerweise parallel stattfinden.“