Bildungsminister Faßmann im VN-Interview: „Lehrer sind wichtiger als das System“

Er selbst sei ein eher guter Schüler gewesen, sagt der Minister. VN/Hartinger
Faßmann: Organisation der Schule der Zehn- bis 14-Jährigen werde überschätzt.
schwarzach Bildungsminister Heinz Faßmann über die Gemeinsame Schule, Bildungsstandards und Ziffernnoten.
Waren Sie ein guter Schüler?
Ich war eher ein guter Schüler, manchmal auch ein Streber. Ab der Pubertät habe ich viel Basketball gespielt, da ist die Zeit fürs lernen dann ein bisschen abhanden gekommen.
Die Ergebnisse des Bildungsstandardtests über die Mathematikkenntnisse der Schüler der vierten Schulstufe waren relativ erfreulich. Sind Sie der Vorgängerregierung dankbar?
fIch bin in erster Linie den Lehrerinnen und Lehrern dankbar. Denn sie sind vor Ort. Dort passiert die wirkliche Arbeit. Was mich übrigens besonders gefreut hat, ist das Ausmaß an Zufriedenheit, in die Schule zu gehen. Drei Viertel der Kinder sagen, sie gehen gerne oder sehr gerne in die Schule.
Trotzdem bleibt eine Kluft zwischen Burschen und Mädchen im Fach Mathematik. Warum?
Es gibt eine kleine Kluft zwischen den Geschlechtern, verglichen zu größeren Unterschieden mit Blick auf Migrationshintergrund oder geringem Bildungshintergrund der Eltern. Es ist nicht ganz klar, woher die kommt. Es gibt kein Mathematik-Gen, welches bei Mädchen schlechter ausgeprägt wäre. Es ist wohl eher ein anerzogenes Rollenverhalten. Der Bildungshintergrund der Eltern ist der größte Faktor bei den Kompetenzunterschieden.
Diesbezüglich hätte das Vorarlberger Schulforschungsprojekt einen wissenschaftlich fundierten Lösungsansatz: eine gemeinsame Schule aller Zehn-bis 14-Jährigen. Warum akzeptieren Sie diese Fakten nicht?
Ich glaube, die Organisation der Schule der Zehn- bis 14-Jährigen wird überschätzt. Wir wissen aus anderen Studien, dass die Lehrerpersönlichkeit oft viel wichtiger ist als ein System, egal ob dieses ein- oder zweigliedrig ist. Nur wenn das Namensschild der Schule ausgetauscht würde: Glauben Sie nicht, dass es dann keine Differenzierung der Schulen mehr gibt. Es gibt dann halt private und öffentliche Schulen, oder Meinungen, wonach eine Schule besonders gut ist, eine andere weniger. Ich persönlich habe das amerikanische High School-System kennengelernt, so gesehen eine Gemeinsame Schule für Zehn bis 18-Jährige. Und wenn man da ein bisschen genauer hinschaut, sieht man eine Menge von Differenzen in diesem System.
Neben dem Sitzenbleiben in der Volksschule erregt in Vorarlberg auch die verpflichtende Wiedereinführung der Ziffernnote die Gemüter. 135 von 170 Volksschulen praktizieren die alternative Beurteilung und sind klar gegen die Ziffernnote. Was sagen Sie diesen?
Denen sage ich, dass die Rückmeldung an Schüler und Eltern für die Lernprozesse etwas ganz Wesentliches ist. Und die Rückmeldung sollte möglichst klar und möglichst präzise sein. Ich sage nicht, dass die Note das einzig Seligmachende ist. Das wäre vermessen und naiv. Beides zusammen macht eine starke Rückmeldung aus. Die Ziffernnote ist leicht verständlich, vor allem für eine Bevölkerung mit einem hohen Migrationsanteil. Wenn man der deutschen Sprache nicht so mächtig ist, ist es schwierig, aus einer verbalen Beurteilung heraus das Entsprechende herauszulesen.
Ist eigentlich der bundesweit einheitliche Kriterienkatalog für die Zuteilung zu Deutschförderklassen schon da?
Ja, der ist da und wird ab dem kommenden Schuljahr zur Anwendung kommen. Noch nicht ganz fertig sind wir mit dem Kriterienkatalog für die Bestimmung der Schulreife. Da können die Bundesländer noch auf ihre eigenen Richtlinien zurückgreifen – unter Berücksichtigung der von uns verfügten Verordnungen. Die Bestimmung zur Schulreife wird dann für das Schuljahr 2020/2021 bundesweit detailliert geregelt sein.
Worin sehen Sie die großen Herausforderungen der nächsten Jahre?
Die sehe ich im Umgang mit der Einwanderungsgesellschaft. Die Frage wird sein: Wie wird es gelingen, soziale Mobilität durch Bildung zu ermöglichen? Wie gelingt es, Bildung so offen zu gestalten, dass Bildung ein Instrument zur Bewältigung der beruflichen und gesellschaftlichen Zukunft wird? Oder: Wie gelingt es, nicht nur einen verbindlichen Kanon hinsichtlich der ethischen Grundlagen zu schaffen, sondern Schülern auch Deutschkompetenzen zu vermitteln, damit sie dem Unterricht folgen können und der Lernunterschied somit kleiner wird?
Das Interview mit Bildungsminister Heinz Faßmann (63, parteilos, auf einem ÖVP-Ticket) führten Klaus Hämmerle und Magdalena Raos.