Der Brexit verzögert sich

Die Briten stimmen für eine Fristverlängerung und lassen sich viele Optionen offen.
London Den Brexit-Deal von Premierministerin Theresa May lehnten die Abgeordneten bereits ab. Einen ungeordneten Austritt aus der EU wollen sie ebenso nicht. Am Donnerstag stimmten sie mit 412 zu 202 Stimmen also für Szenario 3. Der Brexit soll kommen, aber später. Mit einer solchen Verschiebung bleiben dennoch viele Fragen offen und einige Szenarien möglich.
May will das Parlament nun bis zum 20. März erneut über den mit der EU ausgehandelten Austrittsvertrag abstimmen lassen. Um dabei Erfolg zu haben, bräuchte sie aber wohl neue Zugeständnisse der EU. Das Abkommen wurde bereits zweimal im Parlament abgelehnt. Die EU lehnt Nachverhandlungen allerdings ab. In Frage kommt auch eine Verlängerung der zweijährigen Austrittsfrist über Ende März hinaus. Diese ist nach Artikel 50 des EU-Vertrags durchaus möglich, letztlich auch wahrscheinlich. Allerdings müssten alle anderen 27 EU-Staaten einem britischen Antrag zustimmen. Entschieden werden könnte über einen Antrag auf Verlängerung beim EU-Gipfel kommende Woche in Brüssel. Am einfachsten wäre eine kurz Verlängerung um wenige Wochen bis maximal Ende Juni. Denn andernfalls müsste sich Großbritannien an der Europawahl beteiligen, die vom 23. bis 26. Mai stattfindet. Das EU-Parlament tritt am 2. Juli erstmals zusammen. Allerdings ist die Skepsis in der EU groß, was ein kurzer Aufschub an der verfahrenen Situation ändern würde. In wenigen Wochen könnte kaum ein neues Abkommen ausgehandelt werden. Am Ende der verlängerten Austrittsfrist würde doch nur wieder die Drohung eines Chaos-Brexits stehen, warnte May.
Ein Aufschub um mehrere Monate ist daher längst ein Thema. In diesem Zeitraum könnten in Großbritannien die Karten völlig neugemischt werden: Möglich wären Neuwahlen oder die Abhaltung eines zweiten Referendums. Für diese Variante hat sich am Donnerstag EU-Ratspräsident Tusk ausgesprochen. London hätte währenddessen Zeit, eine klare Position zum Brexit zu entwickeln, sagte er.
In diesem Fall müssten sich die Briten allerdings an der EU-Wahl beteiligen. Dies würde eine Reihe von neuen Fragen aufwerfen, weswegen sich bisher zahlreiche EU-Politiker gegen diese Variante ausgesprochen haben. Auch in Großbritannien ist eine Beteiligung der Briten an der Wahl Ende Mai kaum vorstellbar – vor allem, wenn das Land am Austritt festhalten sollte. Eine Teilnahme Großbritannien würde auch die Zahl der Mandate für andere EU-Länder verändern, weil einigen ein Teil der durch den Brexit wegfallenden Mandate zustehen würde. Österreich würde dann weiterhin 18 von 751 Mandaten haben statt 19 von 705, wie dies die aktuelle Planung vorsieht.
Der Brexit ohne Vertrag ist wohl die ungeliebteste Variante. Sowohl die Mehrheit der Abgeordneten im britischen Parlament als auch die EU sind gegen dieses Szenario. Sie befürchten, dass es ein Chaos für Wirtschaft und Bürger auslösen könnte. Beziehungen aus 45 Jahren EU-Mitgliedschaft würden schlagartig gekappt. Sollte es so weit kommen, könnten beide Seiten lediglich Notvereinbarungen schließen. Aber wenn es keine Einigung auf eine andere Variante gibt, endet die britische EU-Mitgliedschaft automatisch am 29. März um Mitternacht Brüsseler Zeit. Auch im britischen EU-Austrittsgesetz ist dieses Datum als Brexit-Termin festgeschrieben und müsste gestrichen werden. Die Zeit dafür zerrinnt.
Brexit-Exit?
Bleibt die letzte Variante: Die Rücknahme des Brexits. Bis zum Austrittsdatum besteht für London die Möglichkeit, den Brexit-Antrag ohne Zustimmung der EU einseitig zurückzunehmen. Dies bestätigte der Europäische Gerichtshof im Dezember. Das gilt jedoch als unwahrscheinlich. Nötig wäre wohl ein zweites Referendum, um so eine Kehrtwende zu legitimieren. May ist strikt dagegen und warnt vor einem Vertrauensverlust in die Demokratie. Die Labour-Opposition ist für eine neue Volksabstimmung, die Mehrheit im Unterhaus lehnt das allerdings ab; genauso wie das May-Deal- und No-Deal-Szenario.
„Ich werde an die EU27 appellieren, für eine lange Verlängerung offen zu sein.“

CHRONOLOGIE
23. Juni 2016 Rund 52 Prozent der Briten stimmen für den EU-Austritt.
13. Juli 2016 Theresa May wird Premierministerin.
17. Jänner 2017 May präsentiert ihre Brexit-Vorstellungen: Raus aus der Zollunion und dem Binnenmarkt, keine Rolle mehr für den Europäischen Gerichtshof.
13. März 2017 Das britische Unterhaus verabschiedet ebnet mit dem Brexit-Gesetz den Weg für den Austritt.
29. März 2017 Die zweijährige Austrittsfrist beginnt.
18. April 2017 May ruft vorgezogene Neuwahlen aus.
8. Juni 2017 Die Konservativen verlieren die absolute Mehrheit und gründen mit der nordirisch-protestantischen DUP eine Minderheitsregierung.
19. Juni 2017 Start der Brexit-Verhandlungen. Drei Themen stehen im Vordergrund: Die Rechte von EU-Bürgern in Großbritannien und Briten in der EU, finanzielle Verpflichtungen Londons und die offene Grenze zwischen Nordirland und Irland.
14. November 2017 Die Fragen nach den Bürgerrechten und dem Geld sind weitgehend geklärt sind, die irisch-nordirische Grenze wird zum kniffligsten Problem.
6. Juli 2018 May präsentiert einen Plan für Beziehungen zur EU. Kurz darauf treten Brexit-Minister David Davis und Außenminister Boris Johnson aus Protest zurück. Auch Brüssel lehnt den Plan ab.
14. November 2018 Das britische Kabinett billigt den mit Brüssel ausgehandelten Entwurf eines Austrittabkommens. Mehrere Regierungsmitglieder treten zurück, unter anderem Brexit-Minister Dominic Raab.
25. November 2018 Die Staats- und Regierungschefs der 27 verbleibenden EU-Mitglieder billigen das Brexit-Vertragspaket mit Großbritannien.
10. Dezember 2018 May verschiebt die Abstimmung des Parlaments über das Abkommen.
12. Dezember 2018 May übersteht eine Misstrauensabstimmung ihrer konservativen Fraktion im Unterhaus.
15. Jänner 2019 Das britische Parlament schmettert den Brexit-Deal ab.
16. Jänner 2019 Ein von der Labour Party gestellter Misstrauensantrag gegen Mays Regierung scheitert.
29. Jänner 2019 Das Parlament gibt May mit knapper Mehrheit ein Mandat, um die Irland-Frage nachzuverhandeln. Brüssel schließt das aus.
7. Februar 2019 May und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker vereinbaren neue Gespräche, um ein Brexit-Chaos Ende März abzuwenden.
12. März 2019 Das britische Parlament lehnt das Abkommen von May erneut ab.
13. März 2019 Das britische Parlament lehnt einen Austritt ohne Abkommen ab.
14. März 2019 Das britische Parlament stimmt dafür, den Brexit zu verschieben.
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