Gerold Riedmann

Kommentar

Gerold Riedmann

Rote Punkte? Rote Linie!

Politik / 12.04.2019 • 21:31 Uhr / 3 Minuten Lesezeit

Wir leben im Zeitalter des Alles-selbst-besser-Wissens. Impfen, beispielsweise. Zu viele, die sich ihre eigene Realität zusammenreimen. Hat uns ein Bekannter (vertrauenswürdig!) erzählt, stand auf Facebook (bei einem Freund!), sie haben in Internetforen davon gesprochen (klang gut!). Ärzte können ein Lied davon singen, von den Patienten, die ein Medizinstudium mit einer Stunde des Wahnsinnigmachens mit Google-Suchen aufwiegen wollen.

Es sind nicht jene einkommensschwachen, bildungsfernen Zielgruppen, die man früher im Verdacht hatte, wenn es um mangelnde Impfdisziplin ging. Längst grassieren die Masern in bürgerlichen Vierteln und ihren wohlsituierten Bewohnern – es ist in gewissen Zirkeln trendig, nicht zu impfen.

Gesundheit ist Privatsache, hört man oft. Man muss nicht zwingend Immanuel Kant bemühen, um sich daran zu erinnern, dass die Freiheit des Einzelnen dort endet, wo die Freiheit des Anderen beginnt. So ist das auch mit dem Impfen. 95 Prozent müsste die Durchimpfungsrate betragen, um Krankheiten wie Masern, Mumps und Röteln auszurotten. Tut sie aber nicht. Für die zweite Masern-Impfung lag sie zuletzt bei 81 Prozent, auch im früheren Impf-Vorzeigeland Vorarlberg sind die Quoten sinkend. Vorarlberg war praktisch masernfrei, nun gab es in drei Monaten schon zwei Vorarlberger, die sich mit Masern ansteckten, wie das Sozial­ministerium mitteilt: offenbar ein Fall Mitte Februar und jetzt der Bub in Göfis. Impfmüde sei unsere Gesellschaft, sagen Experten achselzuckend.

Gesundheitspolitiker in Österreich, auch der Vorarlberger Gesundheitslandesrat Christian Bernhard, hielten eine Impfpflicht bislang „für überzogen”. Doch das Appellieren an die angeblich vorhandene Vernunft jener Bürger, die sich und ihre Kinder nicht impfen, trägt keine Früchte.

Tatsächlich ist es gegenüber der Gesellschaft grob fahrlässig, den Verschwörungstheorien rund ums Impfen anheim zu fallen.

Impfpflicht unausweichlich

Zwangsmaßnahmen sind in der Politik freilich stets das letzte Mittel. Doch es ist an der Zeit, der Wahrheit ins Auge zu sehen: eine Form der verpflichtenden Impfung wird unausweichlich sein.

Wege, um die Durchimpfungsrate augenblicklich zu steigern und die mit der Weltgesundheitsorganisation WHO vereinbarte Ausrottung der Masern zu erreichen, liegen auf der Hand. Keine Impfung? Kein Kindergeld! Wer heute nicht vorweisen kann, dass die Mutter-Kind-Untersuchungen durchgeführt worden sind, bekommt schon heute kein Kinderbetreuungsgeld. Ähnliche Mechanismen werden notwendig sein, um das Betreten von Kindergärten und Schulgebäuden nur noch geimpften Kindern zu erlauben.

Es liegt an der Gesundheitspolitik, diese – nur in sehr begrenzten Zirkeln – unpopuläre Entscheidung zu treffen. Im Sinne unser aller Gesundheit.

„Tatsächlich ist es gegenüber der Gesellschaft grob fahrlässig, den Verschwörungstheorien rund ums Impfen anheim zu fallen.“

Gerold Riedmann

gerold.riedmann@vn.at

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Twitter: @gerold_rie

Gerold Riedmann ist Chefredakteur der Vorarlberger Nachrichten.