Die Regierung ist nicht mehr blau

Mit Kickl wurde erstmals ein Minister entlassen. Die Minderheitsregierung von Kurz steht auf wackeligen Beinen.
WIeN Was sich seit Freitag auf dem politischen Parkett in Wien abspielt, ist eine Kettenreaktion in völlig neuer Dimension: vom Bekanntwerden des “Ibiza-Videos”, das den Vizekanzler Heinz-Christian Strache zum Rücktritt zwang, über die Ausrufung einer Neuwahl hin zum absoluten Bruch der einst so harmonischen Koalition zwischen Volkspartei und Freiheitlichen.
Am Montag hat die Regierung endgültig ihre blaue Farbe verloren. Nachdem Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) Bundespräsident Alexander Van der Bellen vorgeschlagen hatte, Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) zu entlassen, legte das gesamte freiheitliche Regierungsteam seine Ämter zurück. Diese vakanten Stellen möchte der Kanzler nun mit Experten oder Spitzenbeamten besetzen.
Für Österreich ist all das eine Premiere. Zum einen hat ein Bundespräsident noch nie ein Regierungsmitglied entlassen. Zum anderen sind noch nie so viele Regierungsmitglieder gleichzeitig zurückgetreten. Dazu wurde Österreich noch nie von einer Regierung ohne gesicherter Mehrheit im Nationalrat regiert.

Ist die Krise aber vorerst gebannt? Der Vorarlberger Politologe Markus Rhomberg glaubt das nicht: “Was wir erlebt haben, war vielleicht der zweite oder dritte Akt. Es werden sicher noch mehrere folgen.”
Der nächste Akt steht bereits an. So hat die Liste Jetzt angekündigt, bei der anstehenden Sondersitzung einen Misstrauensantrag gegen Bundeskanzler einzubringen. SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner scheint sich vorstellen zu können, ein solches Vorhaben zu unterstützen. Zumindest sprach sie sich am Montagabend dafür aus, dass auch Kanzler und ÖVP-Minister einer Expertenregierung weichen müssten. Die FPÖ hält es ebenso für möglich, einem Misstrauensantrag gegen Kurz zuzustimmen. Allerdings wollen die Freiheitliche noch darüber beraten. Käme im Nationalrat eine Mehrheit gegen Kurz zustande – dafür bräuchte es die Stimmen von SPÖ und FPÖ -, so müsste der Bundespräsident jemanden anderen mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragen, wie Werner Zögernitz vom Institut für Parlamentarismus auf VN-Anfrage erklärt. Auch das wäre eine historische Angelegenheit. In der Geschichte der Zweiten Republik ist nämlich noch nie ein Misstrauensantrag durchgegangen. Wann die Sondersitzung stattfindet ist derzeit noch offen, spätestens kommende Woche soll sie aber abgehalten werden.

Die neue Bundesregierung – ob mit Kurz oder ohne – muss in allen Fällen vom Nationalrat bestätigt werden. “Daher ist die Zusammenstellung nicht ganz leicht”, sagt Rhomberg. Schließlich könnte eine Mehrheit der Abgeordneten den Ministern immer wieder das Vertrauen entziehen. Daher glaubt der Politologe eher nicht, dass die künftige Regierung eigene Gesetzesvorlagen durchbringen wird: “Sie wird sich vor allem um die Verwaltung des Bestehenden kümmern.”
Die Abgeordneten könnten sich im freien Spiel der Kräfte hingegen Mehrheiten für ihre Vorhaben suchen und diese mittels Initiativantrag in die Umsetzung bringen. Völlig offen ist, was mit jenen Vorhaben von ÖVP und FPÖ geschieht, die sie noch gemeinsam in Begutachtung geschickt haben. Dazu zählt unter anderem die Neuberechnung der Normverbrauchsabgabe, die Digitalsteuer und das Gewaltschutzpaket.
FPÖ will Spenden offenlegen
Die FPÖ kündigte unterdessen eine externe Prüfung ihrer Parteifinanzen an, nachdem Strache im “Ibiza-Video” möglicherweise illegale Parteispenden an die FPÖ thematisierte. Der nun designierte Parteichef Hofer erklärte, er habe sich die Spenden der letzten Jahren angesehen und dabei keine Großbeträge gefunden. Die entsprechende Liste werde er noch offen legen.
Auch die SPÖ zog ihre Konsequenzen aus der blauen Affäre: In Linz kündigte Bürgermeister Klaus Luger das Arbeitsübereinkommen mit der Linzer FPÖ – nachdem ihn seine Bundesparteichefin Rendi-Wagner dazu aufgefordert hatte. Ab sofort solle ein freies Spiel der Kräfte herrschen. Im Burgenland beschloss der rot-blaue Koalitionsausschuss, die Landtagswahl vom Mai auf den 26. Jänner 2020 vorzuverlegen. Im Oberösterreich trat Sicherheitslandesrat Elmar Podgorschek (FPÖ) zurück. Die schwarz-blaue Regierungszusammenarbeit wird aber fortgesetzt.
Unterdessen hat die Kettenreaktion längst einen Wahlkampf ausgelöst und Herbert Kickl in seine frühere Rolle zurückgeführt. In Richtung Kurz sagte er: “War es auf Ibiza eine verantwortungslose Besoffenheit in Folge von Alkohol, dann ist das jetzige Vorgehen der ÖVP eine kalte und nüchterne Machtbesoffenheit.”