“Die Statthalter für das Nötige”

Wie frühere Regierungsmitglieder die Rolle des Interimskanzlers und seines Nachfolgers einschätzen.
Wien „Irgendwie haben wir schon eine gewisse Übung“, sagt Bundespräsident Alexander Van der Bellen, als er am Dienstag die Mitglieder der Bundesregierung ihres Amtes enthebt und gleichzeitig mit der Fortführung der Geschäfte betraut. Sebastian Kurz (ÖVP) ist nicht anwesend, als Hartwig Löger vorübergehend den Posten des Regierungschefs übernimmt. Plötzlich ist der Finanzminister also Kanzler. Allerdings wird er das nur für einige Tage sein.
Der Nationalrat hat am Montag dem gesamten Kabinett Kurz inklusive den Expertenministern das Misstrauen ausgesprochen. Die Regierungsmitglieder müssen ihre Ämter zwar zurücklegen, der Bundespräsident kann sie allerdings bitten, die Amtsgeschäfte weiterzuführen, bis er eine geeignete Nachfolgeregierung gefunden hat. Diese will Van der Bellen Ende dieser oder Anfang nächster Woche angelobt haben. Die neue Regierungsmannschaft wird aber nur bestehen bleiben, wenn sie die Mehrheit der Nationalratsabgeordneten hinter sich hat.
Kein Vizekanzler
Einen Vizekanzler hat Österreicher derzeit nicht. Laut Bundesverfassung ist das auch nicht nötig. Löger hatte den Posten des stellvertretenden Regierungschefs ursprünglich von Heinz-Christian Strache (FPÖ) übernommen, jetzt steht der Finanzminister aber an der Regierungsspitze.
Was es bedeutet, kurzzeitig neue, zusätzliche Amtsgeschäfte zu leiten, weiß unter anderem Jürgen Weiss. Der frühere Föderalismusminister war von 17. bis 29. November 1994 mit der Fortführung der Verwaltung des Landwirtschaftsressorts betraut, bis es von Wilhelm Molterer (ÖVP) übernommen wurde. „Da gibt es einige Dinge zu unterschreiben“, erklärt Weiss. In vielen Fragen habe er sich aber auf die Expertise der leitenden Beamten verlassen. „Selbst ist man in so kurzer Zeit mit den Verhältnissen zu wenig vertraut, schaut aber natürlich, dass der Betrieb reibungslos läuft.“ Große inhaltliche Einflussnahmen gebe es nicht. Weiss sieht in der neuen Rolle von Hartwig Löger also mehr eine verwaltende als gestaltende Aufgabe: „Er wird sich nicht zu sehr ins politische Getümmel werfen.“
„Besser weniger politisch“
Der frühere Vizekanzler Erhard Busek beurteilt das ähnlich. Für den Interimskanzler gebe es keinen Auftrag, politisch zu gestalten. Gleiches werde für das Regierungsteam gelten, das in wenigen Tagen die Amtsführung übernehmen soll. „Der Übergangskanzler wird ein neutraler sein, der nirgendwo aneckt. Je weniger politisch, desto besser“, sagt Busek. Das Expertenkabinett solle eine Lücke füllen, aber keine Agenda verfolgen. Es handle sich „bestenfalls um Statthalter für Dinge, die nötig sind“. Würde sich ein Mitglied der neuen Regierung plötzlich politisch einfärben, wäre der Bundespräsident gut beraten, zu handeln, meint der Ex-Vizekanzler.
Die vergangenen Tage bezeichnet Busek als unangenehm. „Mich als altes Möbel der österreichischen Innenpolitik verwundert die Aufgeregtheit. Das verfolge ich mit Sorge. Bisher habe ich immer widersprochen, wenn jemand sagte, die Gesellschaft sei gespalten. Tun die politisch Verantwortlichen aber so weiter, bringen sie es noch zusammen.“ Gegenwärtig gebe es in der politischen Landschaft nur einen Vernünftigen und Gelassenen, glaubt der frühere Vizekanzler. „Das ist der Bundespräsident.“ Und dieser richtet wieder mahnende Worte an die Politik.
„Verbindendes suchen“
Die jetzige Situation zeige, wie wichtig Gespräche seien, sagt Alexander Van der Bellen. „Es reicht nicht in einer Demokratie, wenn man mit den anderen nur redet, wenn man sie gerade braucht. Das rächt sich dann im Laufe der Zeit.“ Es brauche einen tragfähigen Dialog zwischen den einzelnen Politikern, um Kompromisse zum Wohle des Landes zu finden. Ein grundsätzlicher Respekt sei nötig, „dass man anerkennt, dass es andere Meinungen geben kann, die vielleicht auch eine gewisse Berechtigung haben“.
Der Wahlkampf sei in gewisser Weise schon im Laufen und werde am Ende zeigen, welche Meinung mehr akzeptiert sei und welche weniger. „Das ist ganz normal“, sagt der Bundespräsident und ergänzt: „Wir sollten aber nicht jede Minute auf dem herumreiten, was uns trennt, sondern auch gleichzeitig suchen, was uns verbindet.“
„Es reicht nicht, nur mit den anderen zu reden, wenn man sie braucht. Das rächt sich dann.“
