20 Jahre nach dem Ende des Kosovo-Krieges: Von vielen Hürden und einem Stück Sicherheit

Die Landwirtschaft gilt als eine der wichtigsten Erwerbsquellen in dem jungen Balkanland.
prishtina An der alten Mühle sind schon viele Jahre, ja Jahrzehnte, vorbeigezogen. Sie stammt aus dem 19. Jahrhundert und ist der ganze Stolz von Suzana und Goran Ivanovic. Seit Generationen befindet sich die Mühle im Besitz von Gorans Familie. Damit mahlen die Ivanovics im Dorf Terniqec (Trnićevce) in der Gemeinde Novoberde (Novo Brdo) im östlichen Kosovo Getreidesorten wie Mais, Weizen und Gerste. Gegen eine Gebühr können sie auch andere nutzen. „Die Mühle ist 24 Stunden im Einsatz, nonstop“, erläutert Suzana, die nicht nur als Landwirtin, sondern nebenbei auch als Krankenschwester arbeitet, um für die fünfköpfige Familie zu sorgen.
Unterstützung aus Österreich
Die Mühle bietet ein Stück Sicherheit in einem Land, in dem die Arbeitslosenrate bei rund 30 Prozent liegt. Die Landwirtschaft gilt als eine der wichtigsten Erwerbsquellen. Das Gerät der Ivanovics wurde unlängst restauriert. Statt 5000 lassen sich damit nun bis zu 8000 Kilogramm Mehl jährlich herstellen. Die Familie hat auch einen kleinen Schauraum für ihre Produkte eingerichtet. Unterstützung erhielt sie dabei aus Österreich, nämlich in Form der „Rural Economic Sustainability Initiative“, kurz: Resi. Das Programm wird von der Austrian Development Agency (ADA) finanziert und von der Hilfsorganisation Care Österreich umgesetzt. Ziel ist es, die Wettbewerbsfähigkeit kleinerer landwirtschaftlicher Betriebe zu steigern. Damit steigt das Einkommen, Arbeitsplätze entstehen – so die Philosophie. Die erfolgreichen Bewerber bekommen einen Finanzierungszuschuss, einen Teil der Investitionskosten müssen sie selbst bezahlen.
20 Jahre nach Kriegsende
Noch immer ist der Kosovo eines der ärmsten Länder in Europa. Zwei Jahrzehnte sind seit dem Kriegsende vergangen. Der Jahrestag war am 12. Juni. In Prishtina fand eine große Feier statt, auch internationale Gäste, etwa Ex-US-Präsident Bill Clinton, besuchten die Hauptstadt. 20 Jahre sind eine lange Zeit. Doch in der Politik scheinen die alten Denkmuster nach wie vor vorhanden zu sein.
Das merken auch die Ivanovics. Vor einiger Zeit hat das Unternehmerpaar, selbst Kosovo-Serben, in Serbien eine Verpackungsmaschine bestellt. Dass sie statt des ursprünglichen Preises plötzlich doppelt so viel berappen müssen, ahnten sie damals nicht. Die Mehrkosten liegen im Streit zwischen dem Kosovo und Serbien begründet. Belgrad blockiert die Aufnahme des Kosovos in internationale Organisationen wie in die Polizeibehörde Interpol. Prishtina hat wiederum hundertprozentige Importzölle für Waren aus dem Nachbarland eingeführt. Damit trifft es aber auch die eigene Bevölkerung. „Das können wir uns nicht leisten“, sagt Goran. Mit anderen Herausforderungen musste sich Havushe Bunjaku herumschlagen. Trotz ihres abgeschlossenen Studiums waren die Aussichten am Arbeitsmarkt für die Biologin trist. Aus der Not machte die Kosovo-Albanerin eine Tugend. Mit Bekannten sammelte Bunjaku vor Jahren Pflanzen und Kräuter im Wald und verkaufte sie auf dem Markt in Prishtina. Ihre Expertise machte sich bezahlt. Der Bedarf nach lokalen, qualitativ hochwertigen Produkten war außerdem hoch. „Die Menschen haben mir erzählt, dass sie für guten Tee nach Nordmazedonien fahren müssen“, schildert die Mutter von drei Kindern. Heute ist Bunjaku eine etablierte Unternehmerin und Aushängeschild der Gemeinde Prishtina tätigen Frauen-Kooperative „AgroMedicine“, die durch das Resi-Projekt unterstützt wird. Ihr gehören 50 Mitglieder an, sie beliefert Supermärkte und Apotheken mit Bio-zertifizierten Produkten, etwa Kosmetika, Kräutern oder Teesorten. „Im Kosovo ist es für Start-ups schwierig“, sagt Bunjaku. Das liege oftmals am fehlenden Vertrauen, an Geldmittel komme man nur schwer.
Skeptischer Ehemann
Auch Fahrije Dagusha hat auf ihrem Weg zur erfolgreichen Kleinunternehmerin einige Hürden überwunden. Die Mutter von vier Kindern aus Prugovc (Prugovac) beschloss eines Tages, ein Catering-Unternehmen auf die Beine zu stellen, um ihre selbst zubereiteten traditionellen Speisen wie Baklava oder Flia zu verkaufen. „Es war am Anfang eher ein Hobby, ein Experiment. Ich hatte eigentlich nichts“, sagt die Kosovo-Albanerin. Als Produktionsort musste ein baufälliges Haus herhalten. Ihren Ehemann konnte sie auch nicht so recht überzeugen. Er glaubte nicht an das Unternehmen, das heute „Tradita“ heißt. Doch das sollte sich ändern. Auch Dagusha erhielt Unterstützung aus dem Resi-Hilfsprojekt. Dadurch konnte sie eine neue Küche mit modernen Geräten einrichten. Die Nachfrage stieg immer weiter an. Auch Dagushas Ehemann ist mittlerweile vom Erfolg seiner Partnerin überzeugt – er kümmert sich um den Transport der Produkte.
Es war am Anfang eher ein Hobby, ein Experiment. Ich hatte eigentlich nichts.
Fahrije Dagusha, Unternehmerin
20 Jahre nach dem Ende des Krieges bewegt sich der Kosovo in einem Spannungsfeld zwischen Vergangenheit und Zukunft. Dagusha, Bunjaku und die Ivanovics haben versucht, trotz Hindernissen etwas Eigenes aufzubauen. Sie sei stolz auf das, was sie erreicht habe, sagt Dagusha. Ihr Unternehmen habe eine gute Basis, um zu wachsen. Auch Bunjaku ist überzeugt: „Wäre ich selbst nicht tätig geworden, würde ich heute noch auf einen Job warten.“
Kosovo
Der Kosovo ist ein Schwerpunktland der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit. Die gesamten öffentlichen Entwicklungshilfeleistungen betrugen von 2008 bis 2017 rund 100 Millionen Euro. 20 Jahre nach dem Ende des Krieges (1998 bis 1999) handelt es sich noch immer um eines der ärmsten Länder Europas. Der Kosovo, mehrheitlich von Kosovo-Albanern bewohnt, war früher eine serbische Provinz in Jugoslawien. Mit Luftangriffen beendete die Nato die kriegerischen Auseinandersetzungen um die dortige Vorherrschaft. Am 9. Juni 1999 einigte sich das damalige Rest-Jugoslawien mit der Nato darauf, dass sich die jugoslawischen Truppen und die serbische Polizei zurückziehen und die Nato-geführte KFOR-Truppe einrückt. 1999 bis 2008 verwaltete die UN-Verwaltung Unmik das Land. 2008 rief Prishtina einseitig seine Unabhängigkeit aus und wurde von mehr als 100 Staaten anerkannt. Belgrad lehnt das ab.