„Verschiedene Welten“

Politik / 16.09.2019 • 22:34 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
Zuletzt setzte die Polizei Tränengas und Wasserwerfer ein, nachdem manche Demonstranten Steine und Brandsätze warfen. AFP
Zuletzt setzte die Polizei Tränengas und Wasserwerfer ein, nachdem manche Demonstranten Steine und Brandsätze warfen. AFP

Vorarlberger sieht Hongkonger Proteste mit gemischten Gefühlen.

hongkong Die Demonstrationen in Hongkong finden kein Ende. Seit Wochen gehen die Menschen auf die Straße, teils gab es Hunderttausende bis zu einer Million Teilnehmer. Entzündet haben sich die Proteste an einem umstrittenen Gesetz für Auslieferungen nach China; es wurde angesichts des massiven Widerstandes zurückgezogen. Doch die Demonstranten machen weiter: Sie fürchten den wachsenden Einfluss Pekings auf die frühere britische Kronkolonie.

Einer, der Hongkong bestens kennt, ist der Kaufmann und Hotelbesitzer Roland Güttler (74). Schon seit 38 Jahren lebt und arbeitet Güttler in der Siebeneinhalb-Millionen-Einwohner Metropole. „Letztens waren die U-Bahn-Stationen gesperrt und meine Frau und ich sind eineinhalb Stunden zu spät ins Büro gekommen“, erzählt Güttler, dem in Bregenz das Hotel „Bodensee“ gehört. In Hongkong ist er als selbstständiger Kaufmann tätig. Er handelt vor allem mit Werbegeschenken, etwa Glastrophäen, Pokale und Modeschmuck aus chinesischer Produktion.

Vorwand vermutet

Güttler sieht die Proteste mit gemischten Gefühlen. „Zunächst ging es um das Auslieferungsgesetz. Mittlerweile ist nur noch die Rede von Demokratie.“ Dabei sei gar nicht geklärt, was sich die Menschen darunter vorstellen. „Welche Form der Demokratie wünschen sie sich denn? Sagen Sie einem Schweizer, dass er sich eine deutsche Demokratie aneignen soll. Oder sagen Sie einem Deutschen, dass er eine US-amerikanische Demokratie braucht. Das werden sie nicht wollen.“ In Hongkong sei der Ruf nach Demokratie eher ein Vorwand, glaubt der Geschäftsmann. „Der logische nächste Schritt für die Demonstranten ist, dass sich Hongkong vollkommen von China abtrennen soll. Das wurde zwar noch nicht so deklariert. Aber darum geht es.“

Seit der Rückgabe an China im Jahr 1997 wird die frühere britische Kolonie nach dem Prinzip „ein Land, zwei Systeme“ autonom regiert. Zwar steht Hongkong unter chinesischer Souveränität. Anders als die Menschen in der Volksrepublik haben die Hongkonger aber mehr Rechte, wie etwa Vereins- oder Versammlungsfreiheit. „Es sind zwei verschiedene Welten“, sagt Güttler. Das zeige sich schon an den Grenzstellen, die ihn an die früheren Übergänge zwischen West- und Ostdeutschland erinnerten. Das südliche China könne man sich in etwa so vorstellen wie Hongkong vor 40 Jahren. „Damals hat man begonnen, in China zu investieren. Sehr viele Firmen wurden dorthin verlegt“, schildert Güttler. Daraufhin wurde Hongkong zur Verwaltungsstadt.  Allerdings wandle sich das Verhältnis zunehmend. „Die Festland-Chinesen bauen mittlerweile ihre eigenen Firmen und sind den Hongkong-Chinesen schon in vielen Bereichen überlegen.“ Für den Geschäftsmann erklärt sich aus der gewandelten Situation die Ratlosigkeit vieler Hongkonger. „Die Konkurrenz wurde härter. Und die jungen Leute merken das natürlich.“ Dabei sei China für die weitere Entwicklung maßgeblich. „Die Stadt ist ja nicht nur für Hongkong-Chinesen ein Finanzzentrum, sondern auch für Festland-Chinesen.“

Wirtschaftlicher Druck

Dass Peking angesichts der Proteste militärisch hart durchgreifen könnte, glaubt Güttler nicht. „Das müsste sich schon zu einer großen Revolution entwickeln. Außerdem läge es an der Hongkonger Regierung, Truppen aus China anzufordern.“ Davon abgesehen stünde China zum aktuellen Zeitpunkt unter weltweiter Beobachtung. Ein zweites Tian’anmen-Massaker könne sich Peking nicht erlauben. Auf dem „Platz des himmlischen Friedens“ in Peking hatten chinesische Truppen 1989 eine Demokratiebewegung gewaltsam niedergeschlagen. Von einer ähnlichen Entwicklung gehe derzeit auch in Hongkong kaum jemand aus, sagt Güttler. China versuche vielmehr, über wirtschaftliche Maßnahmen, etwa den Tourismus, Druck auszuüben. Trotz seiner grundsätzlichen Kritik an der Protestbewegung hat der Kaufmann kein Problem mit jenen Mitarbeitern aus seiner Firma, die an den Demonstrationen am Wochenende teilnehmen. „Warum auch? Jeder hat das Recht zu glauben, was er will“, betont der 74-Jährige. „Ich sage ihnen immer: Lasst euch auf keinen Blödsinn ein. Und kommt am Montag wieder gesund zurück ins Büro.“

„Die Konkurrenz wurde härter. Und die jungen Leute merken das natürlich.“

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