Die zerrissene ÖVP-Wählerschaft

Koalition: Kurz wird einen Teil enttäuschen. FPÖ steigt vorerst aus.
Wien Auf dem Weg zur Regierungsbildung hat ÖVP-Chef Sebastian Kurz eine erste Etappe hinter sich gebracht: Nach einer Sondierungsrunde mit allen übrigen Parteivorsitzenden ist die FPÖ vorerst ausgestiegen. Kurz wird die Gespräche daher ab Mittwoch mit Grünen, Sozialdemokraten und Neos vertiefen. Die Entscheidung wird letzten Endes nicht einfach werden für ihn. Das zeigen die Präferenzen, die Parteianhänger im Rahmen der Wahltagsbefragung des Sozialforschungsinstituts SORA genannt haben. Das ÖVP-Lager ist demnach zerrissen.
Neos Favorit der ÖVP-Wähler
Würde Kurz allein auf die Wünsche seiner Wähler achten, müsste er am ehesten mit den Neos koalieren. 43 Prozent wollen sie in der Regierung haben. Das Problem ist jedoch, dass die ÖVP mit der Partei von Beate Meinl-Reisinger auf keine Mehrheit im Hohen Haus kommt. Und dass sie im Falle einer Drei-Parteien-Koalition für eine Mehrheit wiederum nicht nötig wäre.
Die zweitliebste Bündnispartnerin der ÖVP-Wähler wäre die FPÖ: Für sie sprechen sich 34 Prozent aus. Die Freiheitlichen haben sich vorerst jedoch aus dem Spiel genommen und Kurz „respektiert“ das. FPÖ-Chef Norbert Hofer begründet diesen Schritt mit dem Wahlergebnis: „Bei einem Wahlergebnis von über 20 Prozent wäre ein sofortiger Eintritt in Regierungsverhandlungen möglich gewesen”, teilte der Burgenländer in einer Aussendung mit. Seine Partei war bei der Nationalratswahl vor zwei Wochen von 26 auf 16,2 Prozent abgestürzt. Das gibt ihr laut Hofer „keine Legitimation“, unmittelbar in Regierungsverhandlungen zu treten. Stattdessen werde Türkis-Grün kommen, so der FPÖ-Obmann.
Tatsächlich? Gerade einmal 20 Prozent der ÖVP-Wähler wünschen sich die Grünen mit Werner Kogler an der Spitze in der Regierung. Sie sind damit lediglich dritte Wahl. Umgekehrt ist es ähnlich: 69 Prozent der Grünen-Wähler wären die Sozialdemokraten am liebsten, gefolgt von den Neos (53 Prozent). Erst dann kommen die Türkisen (32 Prozent).
Keine deutlichen Differenzen
Für SORA-Chef Christoph Hofinger ist die Aussage dieser Werte jedoch relativ: Es sei eher überraschend, dass die Präferenzen bei der ÖVP-Anhängerschaft nicht deutlicher auseinanderliegen. Das mache Sebastian Kurz jede Entscheidung schwer, aber möglich: Enttäuschte Wähler werde es immer geben. „Kurz wird immer Überzeugungsarbeit leisten müssen“, so Hofinger.
Im Vordergrund werde für den bisherigen und wohl auch künftigen Kanzler im Übrigen etwas ganz anderes stehen: „Kurz braucht Stabilität. Nach zwei vorzeitigen Wahlen muss er schauen, dass die nächste Regierung gute Chancen hat, volle fünf Jahre zu halten.“ Und: Wichtig sei für ihn, dass etwas weitergehe. Stillstand wäre das größte Übel aus seiner Sicht, nachdem er das selbst ja immer anprangert. Alles weitere könnte sich laut Hofinger quasi von selbst regeln: „Wenn eine Koalition nicht desaströs agiert, gewöhnen sich die Anhänger der beteiligten Parteien normalerweise daran.“ Zumal es in Österreich noch immer eine breite, ideologiefreie Mitte gebe. Sie umfasse sehr viele Wähler, die je nach Darstellung sowohl für linke als auch für rechte Positionen zu haben sind.
Schlechte Werte hat die Große Koalition: Nur jeder sechste ÖVP- und jeder dritte SPÖ-Wähler hätte die jeweils andere Partei gerne in der Regierung. So wie Rot-Schwarz 2017 zugrunde gegangen ist, ist das jedoch kein Wunder. JOH
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