Verschärftes Pflegeproblem

Politik / 25.11.2019 • 19:00 Uhr / 4 Minuten Lesezeit
Verschärftes Pflegeproblem
Um einen Ausbau stationärer Pflegeeinrichtungen werde man auf mittlere und längere Sicht nicht umhinkommen, sagen Experten. REUTERS

Fehlende Angehörige: Verdoppelung der Heimplätze unausweichlich.

WIEN Immer mehr Menschen leben allein, viele fühlen sich einsam. Das bringt massive Herausforderungen mit sich. In Großbritannien ist vor zwei Jahren eine Staatssekretärin mit der Suche von Lösungen betraut worden. In Deutschland heißt es im Koalitionsvertrag, man werde Strategien und Konzepte entwickeln, die Vereinsamung zu bekämpfen. In Österreich bemühen sich Hilfsorganisationen wie die Caritas oder das Institut für Sozialdienste (ifs) darum, auf politischer Ebene ist das Thema aber noch nicht angekommen. Das ist bemerkenswert, verschärft es doch auch das Pflegeproblem, wie Expertinnen im Gespräch mit den VN bestätigen.

Rund 58.000 1-Personen-Haushalte wird es im kommenden Jahr allein in Vorarlberg geben. Das ist einer Prognose zu entnehmen, die die Statistik Austria erstellt hat. Im Laufe der Zeit wird die Zahl nicht stagnieren oder gar sinken, sondern steigen: 2050 werden es voraussichtlich rund 77.000 sein.

Zurückzuführen ist diese Entwicklung nicht etwa auf einen verschärften Trend zum freiwilligen Single-Dasein, sondern auf die Alterung. Im Durchschnitt leben Frauen zudem länger als Männer und bleiben damit eher allein zurück.

Vor allem für die Pflege wird das eine Riesengeschichte: So gut wie alle Parteien sind sich einig, dass gebrechliche Menschen so lange wie möglich zu Hause betreut werden sollen. „Mobile Pflege vor stationäre Pflege ist wichtig und richtig”, sagt Ulrike Famira-Mühlberger vom Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO: „Um einen Ausbau stationärer Einrichtungen wird man auf mittlere und längere Sicht jedoch nicht umhinkommen.“ Bis zur Mitte dieses Jahrhunderts wird sich die Zahl der Heimplätze laut einer WIFO-Studie mehr als verdoppeln müssen.

Die Gründe: Zu Hause wird ein Teil der Pflege von Betreuerinnen aus Osteuropa getragen. Bei einer Annäherung der Verhältnisse zwischen Österreich und der Slowakei etwa ist jedoch fraglich, ob sie weiterhin zur Verfügung stehen werden. Wichtig in den eigenen vier Wänden sind auch Angehörige. Bei kleiner werdenden Familien mit Frauen, die zunehmend selbst berufstätig sind, gibt‘s jedoch nicht mehr viele, die helfen könnten.

Beim WIFO hat man einen eigenen Faktor entwickelt, der das Problem zumindest annäherungsweise zum Ausdruck bringen soll: die sogenannte „intergenerationelle Unterstützungsrate“. Auf immer mehr ab 85-Jährige kommen demnach immer weniger 50- bis 64-Jährige; das ist die Altersgruppe, die sich am ehesten um die Pflege zu Hause kümmert.

Bei den Zehntausenden, die überhaupt alleine leben, ist die Betreuung zum einen personalintensiv und zum anderen unter Umständen trotzdem unzureichend. „Das fängt schon damit an, dass oft niemand mehr da ist, dem aufkommende Demenz gleich auffällt, sodass frühzeitig etwas unternommen werden könnte“, erläutert Kriemhild Büchel-Kapeller vom Büro für Zukunftsfragen des Landes. Die Folge: Bis die Demenz von jemandem festgestellt wird, ist sie fortgeschritten und der Handlungsbedarf größer.

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