Wiener SPÖ: Die Stadt gehört nicht mehr dir
Auf Pamela Rendi-Wagners Offensive war ihre Partei nicht gefasst. Dass die leidgeprüfte SPÖ-Vorsitzende ausgerechnet jetzt, da die Öffentlichkeit interessiert auf Justiz-Debatten oder Eurofighterskandal-Grüße aus der Vergangenheit blickt, in einer Mitgliederbefragung die Vertrauensfrage über ihren Verbleib als Chefin stellen muss, das gefällt wohl vor allem einem gar nicht: Wiens SPÖ-Chef Michael Ludwig. Er tritt im Herbst zu seiner ersten Wahl als Bürgermeister an und kommentiert Rendi-Wagners Flucht nach vorne als „sehr persönliche Entscheidung“, die „natürlich zu respektieren ist“. Politikerdeutsch für: Pamela, warum jetzt, um Himmels willen?
Im Jänner gab es die erste Karmasin-Umfrage für Wien, mehr als ein halbes Jahr vor dem Wahlgang ziemlich gewagt, aber alle im politmedialen Betrieb sind schon sehr aufgeregt. Die SPÖ wäre demnach bei 35 Prozent, ÖVP, Grüne und Neos würden zulegen, die FPÖ verlieren und der gefallene Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache ins Rathaus einziehen. Wird es bei der eingespielten rot-grünen Koalition bleiben? Oder droht Rot-Türkis (wie Grüne verbreiten)? Oder tun sich Türkis, Grün, Neos gar für das Undenkbare zusammen – eine Wiener Regierung ohne SPÖ-Bürgermeister (wie Rote verbreiten)? Letztere Variante ginge sich derzeit rechnerisch nicht mal aus, aber egal.
Duell um Wien? Auch vorbei
Sicher ist, dass es im Herbst nicht nur um die Bundeshauptstadt geht, die Wiener SPÖ bildet das Rückgrat der heimischen Sozialdemokratie. Und das rot regierte Wien glänzte schon einmal mehr. Doch bereits Ex-Bürgermeister Michael Häupl sah sich vor der Wahl 2015 mit der Erkenntnis konfrontiert: Die Stadt gehört nicht mehr dir. Die Wiener Sozialdemokraten waren lange von der eigenen Unbesiegbarkeit überzeugt. Das rote Wien hat seinen Bürgern einst Versorgung, Sicherheit, Sozialreformen gebracht, diese historischen Leistungen prägen bis heute das Selbstverständnis der Partei.
Strache mit seiner Splitter-Truppe zur Gefahr zu stilisieren, das schafft nicht einmal der schlaueste SPÖ-Stratege.
Ihr straff organisierter Sozialismus mit gemütlichem Antlitz gab der SPÖ innere Sicherheit – und selten hat ein Wiener Partei-Chef das so verkörpert wie Häupl. Doch das alte Selbstbild ist brüchig geworden. Nun hat Michael Ludwig zum ersten Mal nicht mehr die Möglichkeit, den ewigen Wahlkampfschmäh vom „Duell um Wien“ gegen die FPÖ auszurufen. Strache mit seiner Splitter-Truppe zur Gefahr zu stilisieren, das schafft nicht einmal der schlaueste SPÖ-Stratege. Die Zeiten absoluter Mehrheiten sind großteils vorbei (die Burgenland-Wahl jüngst war eine Ausnahme). Parteien müssen sich auf mehr Kooperation, neue Denkmodelle einstellen – und das ist auch gut so. Ob die Wiener Sozialdemokratie das schon verinnerlicht hat, wird sich in einem langen Wahlkampf zeigen.
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