Deutsches Urteil löst Sterbehilfedebatte aus

Geteilte Reaktionen in Österreich. Entscheidung steht an.
Wien Es gibt ein Recht des Einzelnen auf selbstbestimmtes Sterben. So begründet der deutsche Verfassungsgerichtshof seine Entscheidung, das Verbot organisierter Angebote zur Sterbehilfe zu kippen. Auch das österreichische Höchstgericht wird sich mit dieser Frage beschäftigen müssen. Seit Mai 2019 liegt ihm ein Antrag der „Gesellschaft für ein humanes Lebensende“ vor. Ihr Ziel ist es, das Sterbehilfeverbot in Österreich aufzuheben.
„Nicht gesellschaftsfähig“
In Deutschland stand geschäftsmäßige Sterbehilfe seit 2015 unter Strafe. Geschäftsmäßig hat nichts mit Geld zu tun, sondern bedeutet auf Wiederholung angelegt. So wollte die Politik professionellen Sterbehelfern das Handwerk legen. Sterbehilfe solle nicht gesellschaftsfähig werden. Die Höchstrichter entgegnen: Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließt auch die Freiheit mit ein, sich das Leben zu nehmen und dabei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen. Die aktive Sterbehilfe, also die Tötung auf Verlangen, zum Beispiel durch eine Spritze, bleibt aber verboten. Bei assistierter Sterbehilfe wird das tödliche Medikament zur Verfügung gestellt, der Patient nimmt es selbst ein. Keine Strafen gibt es in Deutschland auf Beihilfe zum Suizid durch Nahestehende oder Angehörige. Auf der Palliativstation oder im Hospiz dürfen Ärzte schmerzstillende Medikamente mit dem Risiko geben, dass der Patient früher stirbt.
In Österreich sind Tötung auf Verlangen und Mitwirkung am Selbstmord verboten. Was den ärztlichen Beistand für Sterbende anbelangt, wurde erst kürzlich per Gesetz geregelt, dass Ärzte todkranken Patienten Medikamente zur Schmerzlinderung verabreichen dürfen, auch wenn diese eine „unvermeidbare Lebensverkürzung“ zur Folge haben können. Eine Rechtsgrundlage für Sterbehilfe ist das aber nicht.
51 Empfehlungen in Österreich
Die bereits durchgeführte parlamentarische Enquetekommission zur „Würde am Ende des Lebens“ endete mit 51 Empfehlungen, deren Kern der flächendeckende Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung umfasste. Dem Vorschlag der Bioethikkommission, das Verbot der „Mitwirkung am Selbstmord“ so zu lockern, dass Ärzte und Angehörige in Extremsituationen straffrei bleiben sollen, wurde damals nicht entsprochen.
Die „Gesellschaft für ein humanes Lebensende“ hofft, dass Sterbehilfe in Österreich erlaubt wird. Der katholische Familienverband befürchtet hingegen massiven Druck auf ältere, pflegebedürftige Menschen. Neos-Sozialsprecher Gerald Loacker fordert eine offene Diskussion: „Die Politik tritt zentrale gesellschaftliche Fragen immer öfter an Höchstgerichte ab, weil wir uns vor einem unvoreingenommenen Diskurs fürchten.“
Sterbehilfe in der SChweiz
In der Schweiz führen mehrere Vereine Freitodbegleitungen durch. Dignitas ist einer der wenigen, der auch Ausländern offensteht. Über Dignitas haben sich von 1998 bis 2019 insgesamt 1322 Deutsche das Leben genommen. Das sind knapp 44 Prozent ihrer Fälle. Im selben Zeitraum wurden 64 Österreicher von Dignitas in den Freitod begleitet. Der Verein Exit steht nur Schweizern offen. 2018 hat er 905 Personen begleitet, seit 2012 waren es 4541.