Scheinheilig
Die Fastenzeit hat begonnen. Für viele eine Gelegenheit, sich nach Silvester ihrer Vorsätze zu erinnern oder neue Vorhaben zu fassen. Besonders beliebt sind jene nach Verzicht und Einschränkung. Fasten gibt es inzwischen in vielen Variationen, statt Fleisch kann es auch Auto, Handy, Schokolade oder Alkohol sein. In Gesundheitshotels hat sich inzwischen ein regelrechtes Fastenbusiness entwickelt, zwischen Basen-, Mayr-, Schroth- bis zu Heilfasten mit oder ohne Gymnastikprogramm und spiritueller Begleitung fällt die Auswahl schwer. Nichts zeigt besser, in welcher Überflussgesellschaft wir eigentlich leben.
Verdrängte Folgen
Tatsächlich fällt uns allen aber eine Veränderung unserer Lebensgewohnheiten viel schwerer als uns lieb ist. Ab morgen weniger Essen, mehr Sport oder weniger Stress, mehr Achtsamkeit im Alltag klingt gut und richtig. Die Krux ist nur der Satzanfang: ab morgen. Das ist aber nur ein Teil der Doppelmoral: Das Gute beginnt stets später und am besten bei den anderen. Oder wir hoffen auf eine technische Lösung. Oder verdrängen die Konsequenzen unseres Handelns aus dem Bewusstsein – bis uns die Realität einholt. Das geht meist einher mit erschütternden Bildern: verängstigte Koalas mit Brandwunden, Wälder mit kahlen Bäumen, ekelerregende Szenen aus einem Eierbetrieb oder erschütternde Schlachtszenen eines heimischen Kalbes. In diesen Momenten wird uns auch der globale Zusammenhang unserer Gewohnheiten bewusst.
Billig und viel
Wir greifen ganz selbstverständlich im Regal zu Milch, Eiern oder Fleisch zu Preisen, die tier- und umweltgerechte Erzeugung offensichtlich nicht erlauben. Viele Produkte sind so billig, dass wir es uns sogar leisten können, einen beachtlichen Teil zu entsorgen. So ist schon lange bekannt, dass in Wien täglich jene Menge an Brot im Müll landet, den ganz Graz verzehrt. Denn Konsumenten wünschen auch kurz vor Ladenschluss noch das volle Sortiment zur Auswahl. Die Grenzen unserer Mobilität ist uns nicht erst seit dem Dieselskandal oder den erhöhten Feinstaubwerten bekannt. Vor Erderwärmung warnt die Wissenschaft seit Jahrzehnten. Und dass ein großer Teil unserer Kleidung billigst von Kinderhänden hergestellt wird, ist auch schon lange kein Geheimnis mehr.
Selbstverständlich können wir als Konsumenten nicht die Welt retten, aber wir können alle einen Teil dazu beitragen. Vor allem, wenn wir als Bürger Unterstützung von der Politik fordern. Ob wir es allerdings ernst meinen, zeigt sich erst, wenn wir auch unsere Lebensgewohnheiten verändern. Sonst entpuppt sich die Aufregung rund um Vorarlberger Kälber, brennende Wälder oder Kindersklaven als scheinheilig.
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