Wie Mathematik das Virus bekämpft

Forscher Niki Popper simuliert den Verlauf von Covid-19.
Wien Niki Popper zählt derzeit zu den wohl gefragtesten Mathematikern in Österreich. Der Forscher bietet mit seinen Teams eine wissenschaftliche Grundlage im Kampf gegen das Coronavirus. Er simuliert das Verhalten der österreichischen Bevölkerung, rechnet bekannte Details zu Covid-19 ein und zeigt, wie sich das Virus eindämmen lässt.
Welche der Maßnahmen der Bundesregierung zeigen welche Wirkung?
Wir haben uns einerseits die Schulschließungen angesehen, die eine Reduktion der Gesamtkontakte der Bevölkerung von zehn Prozent bringen. Dann haben wir simuliert, dass ältere Menschen über 65 Jahre ihre Freizeitkontakte um die Hälfte reduzieren. Hier haben sich die Gesamtkontakte in der Bevölkerung weniger reduziert als bei den Schulschließungen. Allerdings hat sich in der Simulation die Anzahl der gleichzeitig auftretenden schweren Verläufe um mehr als die Hälfte reduziert. Die Beispiele veranschaulichen: Die eine Maßnahme macht viel im Sinne der Reduktion der Ausbreitung, die andere viel im Sinne der Reduktion der schweren Erkrankungen.
Haben die Ausgangsbeschränkungen den Effekt verstärkt?
Wir schauen uns das mit vielen Annahmen an, auch wie stark sich die Kurven je nach Kontaktreduktion verändern. Demnach wirkt die Maßnahme, was die Reduktion der Ausbreitung betrifft. Wichtig ist aber: Ein Modell ist immer nur ein Modell und wir versuchen es immer zu verbessern. Aufsummierte Informationen von Handybetreibern, also anonymen Daten, zeigen uns etwa, wie sich das Verhalten auf Einkaufsstraßen oder in der U-Bahn verändert. Das können wir einspeichern und es erlaubt uns ein besseres Bild für unsere Annahmen.
Der Gesundheitsminister meinte, wir müssen beim prozentuellen Wachstum der Neuinfizierten in den einstelligen Bereich kommen. Ist das bis 13. April machbar?
Da bin ich guter Dinge. Entscheidend ist aber, was die Intensivmediziner in den Krankenhäusern sehen. Sie interessiert einzig und allein, ob sie heute weniger Aufnahmen haben als gestern. Die Zahl der Neuerkrankungen muss also sinken.

Zählen die Schulschließungen zu den wichtigsten Maßnahmen?
Schulschließungen führen zu einer starken Kontaktreduktion. Da hängen aber so viele Dinge dran, die außerhalb unserer Modellsicht sind, etwa Fragen der Kinderbetreuung oder Arbeitsstätten. Diese Überlegungen müssen andere anstellen. Wenn sie uns sagen, schaut euch ein Szenario an, können wir zu einem Ergebnis kommen. Daraus können dann Konzepte entwickelt werden.
Wie optimistisch sind Sie, dass die Krise bald vorüber ist?
Aktuell macht es keinen Sinn, die Maßnahmen zu lockern, weil wir als Gesellschaft einen hohen Preis gezahlt haben und das wieder kaputt machen würden. Solange wir nicht auf einem stabilen, guten Weg sind, ist die Kontaktreduktion total wichtig. Ich bin positiver als die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen, weil ich mir denke, dass wir das im Griff haben können. Wissen tu ich es als Wissenschaftler aber nicht. Meine persönliche Einschätzung: Die gesetzten Maßnahmen in Österreich, die Vorbereitungen, die grundsätzlichen Prozesse und die bestehende Infrastruktur unterscheiden uns von anderen Ländern, mit denen wir oft verglichen werden. Und das stimmt mich sehr positiv.
Szenarien nach Ostern
Würden die aktuellen Maßnahmen beibehalten, sei der Höhepunkt der Krankheitsfälle bald erreicht, sagt Forscher Niki Popper. Dann sofort zum gewohnten Alltag zurückzukehren wäre aber falsch. Die Zahl der Krankheitsfälle würde rasch zunehmen und eine zweite Coronawelle verursachen. Die Wissenschaftler berechneten nun folgende drei Szenarien.
1. Die derzeitigen Maßnahmen bleiben beibehalten, also Schulen zu, etwa ein Viertel der Arbeitsstätten geschlossen und die Freizeitkontakte um die Hälfte reduziert: Kontinuierlicher Rückgang der Zahl der Covid-19-Erkrankungen über den Sommer
2. Arbeitsstätten werden nach Ostern geöffnet, Schulen bleiben geschlossen, Freizeitkontakte bleiben reduziert: Langsamerer Rückgang der Erkrankungen, Gesundheitssystem käme nicht an seine Belastungsgrenzen
3. Arbeitsstätten öffnen nach Ostern, Schulen ab 4. Mai, Freizeitkontakte bleiben reduziert: Anstieg der Krankheitszahlen, zwar nicht explosiv aber über dem Niveau der ersten Infektionswelle
Das ganze Gespräch können Sie im VN-Corona-Podcast nachhören. https://soundcloud.com/vn_at/corona10
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