Vizekanzler hält eine Art Teilamnestie bei Coronastrafen für möglich

Kogler sieht nun aber zuerst die Gerichte am Zug. Eine bundesweite Maskenpflicht in Supermärkten brauche es noch nicht.
Wien Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) sieht die Zeit für eine Wiedereinführung der bundesweiten Maskenpflicht in Supermärkten noch nicht gekommen. Voraussetzung dafür sei schon ein drohendes exponentielles Wachstum der Infiziertenzahlen, sagt er im VN-Interview. Eine Generalamnestie bei Coronastrafen lehnt er ab. Sollte aber jemand belangt worden sein, nur weil er einen Fuß vor die Tür gesetzt hat, wäre das Unsinn. Dass es wie unter türkis-blau einen 2:1-Schlüssel für Postenbesetzungen in staatlichen oder staatsnahen Betrieben gibt, bestreitet Kogler. Es gebe ein Regierungsprogramm, nach dem man sich richte: „So planlos darf man nicht sein, dass es eine naiv objektivierte, völlig geist- und ideologiefreie Veranstaltung wird. Wir brauchen Menschen, die kompetent sind, aber auch inhaltlich die ministerielle Ausrichtung vertreten.“ Der Besetzungsvorgang solle aber transparenter werden, sagt der Vizekanzler.
Sind Sie froh, dass Sie den Kanzler nicht ins Kleinwalsertal begleitet haben?
Es war nie ein Thema, dass ich mitfahre. Ich glaube auch, dass dort nur die ÖVP Veranstalter war.
Es wird keine einzige Strafe zu den Geschehnissen im Kleinwalsertal geben. Ist das fair?
Das müssen Sie die Exekutive fragen. Ich kann dazu nichts sagen.
In einer Anfragebeantwortung von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) steht, dass die Abstandsregel von einem Meter nicht für Tätigkeiten in einem Wirkungsbereich der Organe der Gesetzgebung und Vollziehung gilt. Damit gilt sie auch nicht für Sie. Wussten Sie das?
Nein, das wusste ich nicht. Ich wüsste auch nicht, wieso das überhaupt so sein soll. Das ist mir ehrlich gesagt ein bisschen zu detailliert. Ich halte mich immer an die Ein-Meter-Regel, wenn es geht. Und wenn es im Zug, in der U-Bahn oder sonst wo enger wird, habe ich immer meine Maske dabei.
Wie wahrscheinlich ist es, dass die Maskenpflicht in geschlossenen Räumen wieder kommt?
Wichtig ist, dass mit Maßnahmen regional reagiert werden kann, wenn sich bedenkliche Entwicklungen ergeben. Dazu können auch Maskenpflichten gehören. Für eine bundesweite allgemeine Maskenpflicht muss noch einiges passieren. Die Debatte zur Maskenpflicht in den Supermärkten ist davon aber zu unterscheiden.
Warum?
Die Supermarktfrage ist eine andere, weil jeder dorthin muss. Ob ich in ein Fußballstadion gehe oder nicht, kann ich mir hingegen selbst aussuchen.
Es hört sich ziemlich gesetzt an, dass die Maskenpflicht in Supermärkten wieder kommt.
Nein. Es ist nur überlegenswert, dass man in den Supermärkten genauso wie aktuell in den Apotheken wieder eine Maske trägt. Aber die Voraussetzung dafür muss schon ein Befund über das Infektionsgeschehen sein, also wenn bundesweit ein exponentielles Wachstum drohen würde, viele Spitalsbetten belegt sind und die Kapazität der Intensivbetten leidet. So wie es jetzt ist, gibt es noch ein bisschen Spielraum bis zur Einführung der Maskenpflicht.
Nur weil der Toleranzbereich einmal größer und einmal kleiner ist, werden wir nicht alle Radarstrafen für Raser erlassen.
Die Opposition hat eine Generalamnestie bei Coronastrafen gefordert. Soll es sie geben?
Das wäre ja paradox. Wir reden zuerst über die neue Maskenpflicht und dann soll es gleichzeitig eine Generalamnestie geben? Ich bin schon dafür, dass Strafen refundiert werden, wenn die Exekutive zu Unrecht Mandate verhängt hat. Zunächst werden sich die Gerichte aber mit Einzelfällen befassen müssen. Wenn sich dort herausstellt, dass bestimmte Kategorien wackelig sind und sich ein Muster ergibt, kann man eine Art Teilamnestie machen. Davon sind wir aber noch weit entfernt. Vergleichen wir das mit Radaranlagen, die unscharf sind. Nur weil der Toleranzbereich einmal größer und einmal kleiner ist, werden wir nicht alle Radarstrafen für Raser erlassen.
Es geht also um die Toleranz, ob man auf der Parkbank verweilen durfte oder nicht…
Meinem bescheidenen Verständnis nach hat man nur ein Problem produziert, wenn man den einen Meter Abstand zu jenen Personen nicht eingehalten hat, die nicht im selben Haushalt leben. Wenn einer belangt wird, weil er einen Fuß vor die Tür gesetzt hat, ist es deswegen schon ein Unsinn, weil es ja möglich war, sich im Freien zu bewegen.
Muss der türkis-grüne Koalitionspakt überarbeitet werden?
Es sind viele Bereiche drinnen, die genauso weitergelten. Manche sind durch die Realität außer Kraft gesetzt worden. Der ganze Wirtschaft- und Finanzbereich sieht jetzt anders aus. Es ist völlig vernünftig, uns mit sehr viel Geld aus der Krise rauszuinvestieren, sodass auch die Wirtschaft anders aus der Krise kommt, als sie reingegangen ist: moderner und ökologischer. Das Regierungsprogramm ist von daher positiv überholt. Und die Frage nach dem Nulldefizit stellt sich so nicht mehr. Gemessen an der Wirtschaftsleistung werden wir uns im zweistelligen Prozentbereich neu verschulden. Da wir null Prozent Zinsen zahlen, ist das jetzt aber völlig unwichtig.
Es liegt ein Paket von 50 Milliarden Euro auf dem Tisch. Ist es denn gar nicht legitim, trotzdem zu fragen, wer die Krise zahlt?
Solange wir null Prozent Zinsen zahlen, sehe ich eben keine Veranlassung, den Schuldenstand zu reduzieren.
Aber kann man sich nur auf die Zinsen verlassen?
Wenn sie gröber steigen, ist es anders. Das ist aber nicht absehbar.
Hätte Kaiser Franz Joseph auf die Marktwirtschaft gewartet, gäbe es noch heute keine Eisenbahn über den Semmering.
Der Bundeskanzler setzt in einem Beitrag im Time Magazin auf die freie Marktwirtschaft, wenn es um den Kampf gegen den Klimawandel geht. Widerspricht das ihren Vorstellungen?
Falls der Kanzler meint, die öffentliche Hand sollte sich zurückziehen, würde er falsch liegen. Ich glaube aber nicht, dass er das so meint. Wir müssen die Mechanismen der Marktwirtschaft nutzen und als öffentliche Hand gleichzeitig die richtigen Signale setzen und lenken, zum Beispiel, wenn wir mit einer ökosozialen Steuerreform Preise und Kosten in eine nachhaltige Richtung korrigieren. Wir können nicht darauf warten, dass jeder Großkonzern von sich aus ökologisch ist. Hätte Kaiser Franz Joseph auf die Marktwirtschaft gewartet, gäbe es noch heute keine Eisenbahn über den Semmering.
Hat die Coronakrise nicht auch gezeigt, dass die liberale Marktwirtschaft eine Einbahnstraße ist?
Selbstverständlich. Die Neoliberalen sitzen so tief im Keller, so hoch wie ein Hochhaus ist. Und das zurecht! Vielleicht bleiben sie auch länger unten als bei der Finanzkrise, weil man jetzt sieht: Wenn es drauf ankommt, brauchst du Ordnung und du brauchst öffentliche Hände, die was tun und investieren. Wenn der Staat nicht eingreifen würde, würden wir einfach absaufen.
Wir brauchen Leute, die auf dem richtigen Klavier spielen und nicht auf einer falschen Tröte.
Norbert Hofer hat im Ibiza-U-Ausschuss erzählt, dass unter Türkis-Blau für Postenbesetzung in staatsnahen und staatlichen Betrieben ein 2:1 Schlüssel gegolten hat. Gibt es diesen auch bei Türkis-Grün?
Nein. Wir brauchen keinen Schlüssel, weil wir ein Regierungsprogramm mit entsprechenden Zielen vereinbart haben. Und da ist es nur logisch, dass es uns lieber ist, wenn eine Person im Aufsichtsrat des Turboklimaschutzbetriebs ÖBB sitzt, die den Schienenverkehr stärken will und nicht hinter den Kulissen abbauen möchte. Wir brauchen Leute, die auf dem richtigen Klavier spielen und nicht auf einer falschen Tröte. Und wenn noch Falschtröter drinnensitzen, muss man mit ihnen ein ernstes Wort reden oder ihnen die Tröte wegnehmen. So planlos darf man nicht sein, dass es eine naiv objektivierte, völlig geist- und ideologiefreie Veranstaltung wird. Wir brauchen Menschen, die kompetent sind, aber auch inhaltlich die ministerielle Ausrichtung vertreten.
Ist Thomas Schmid als ÖBAG-Chef noch tragbar? Er wird in der Casinos-Affäre als Beschuldigter geführt und es gibt auch den Verdacht bezüglich eines möglichen Drogenkonsums. (Anm.: Es gilt die Unschuldsvermutung.)
Das ist in erster Linie Sache des Aufsichtsrats dort. Sollte diese Drogengeschichte eine kleinere Deliktsform gewesen sein, stellt sich die Frage, was hier privat und was öffentlich ist. Wenn einer herumrennt und Kokspartys organisieren würde, wäre er ohnehin erpressbar. Solange die Sache im privaten Raum geblieben ist, bin ich da großzügiger. Die eigentliche Frage ist eher, ob es sonst noch Malversationen gegeben hat, aber das wird ohnehin untersucht.
Und abgewartet?
Ja, auf die Ergebnisse. Aber es wird jedenfalls Sache des Aufsichtsrats bleiben.
Sollten Postenbesetzungen in staatsnahen oder staatlichen Betrieben transparenter werden, durch öffentliche Begründungen oder parlamentarische Hearings?
Ich würde nicht unbedingt erkennen, dass der Hauptausschuss des Nationalrats für die Optimalbesetzung von etwa Schieneninfrastrukturmanagern zuständig sein soll. Aber ich denke gerade mit Leonore Gewessler darüber nach, wie wir die Sache nachvollziehbarer gestalten können, womöglich mit der Veröffentlichung von Biografien und Begründungen zu Personalentscheidungen.