Warum das Heer ein Fall für den Konkursrichter ist

Politik / 25.07.2020 • 05:45 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
Warum das Heer ein Fall für den Konkursrichter ist
Wer annimmt, die Miliz sei das Stiefkind, die aktive Truppe dafür zumindest passabel ausgestattet, der irrt.  APA

Uraltes Gerät, desolate Infrastruktur, Pensionierungswelle und kein Geld.

Wien „Airbus wird mich kennenlernen.“ So tönte Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (VP) vor Monaten. Umgemünzt auf das Bundesheer heißt das: „Meine Soldaten werden mich kennenlernen.“ Und die empfinden das als Bedrohung. Die Ministerin ohne militärische Erfahrung startete einen Reformprozess ohne Einbindung der Truppe. Nicht einmal Informationen gab es.

„Wir mussten vieles häppchenweise aus den Medien erfahren“, lautet daher der Grundtenor der Kritik, der sich durch de facto alle Stellungnahmen herausfiltern lässt. Das Heer ist zu einem Fall für den Konkursrichter verkommen. Es mangelt an allen Ecken und Enden: Das zeigte der Kurzzeitminister der Expertenregierung Thomas Starlinger treffend auf.

Minister Hans Peter Doskozil hatte bei vielen Interesse am Soldatenjob geweckt. Das machten die Zahlen der Heeresunteroffiziersakademie (HUAk) in Enns deutlich. HUAk-Chef Brigadier Nikolaus Egger gibt nun zu bedenken: „Der Hype lässt nach. Das hatte sich aber schon abgezeichnet.“ Vizeleutnant Othmar Wohlkönig, Präsident der Unteroffiziersgesellschaft, formuliert das schärfer. „Nach dem Anstieg der vergangenen Jahre befinden sich schon heuer um ein Drittel weniger Anwärter als 2019 bei den Kursen.“

Das Schweigen der Generäle

Ungeachtet, dass es in vielen Soldaten innerlich brodelt: Die Loyalität speziell der Führungskräfte in Wien scheint ungebrochen. Die Mehrzahl der Generäle in der Zentrale in der Rossauer Kaserne übt sich im Schweigen und Erdulden. Alarm schlagen dagegen jetzt hochrangige Militärs in Interviews mit den Bundesländerzeitungen. So bringt etwa der Chef der 6. Gebirgsbrigade, Brigadier Johann Gaiswinkler in Absam die Stimmung in der Truppe mit einem Zitat von Alexander Puschkin auf den Punkt: „Wir, die Willigen, von den Unwissenden geführt, tun das Unmögliche für die Undankbaren. Wir haben so lange so viel mit so wenig vollbracht, dass wir inzwischen in der Lage sind, alles mit nichts zu erreichen.“

Was das Nichts betrifft, so vergleicht Vorarlbergs Militärkommandant Brigadier Gunther Hessel das Heer mit einer eher schiefen Holzhütte: „Teilweise regnet es rein, die Heizung fällt immer wieder aus, die Stromleitungen sind zu schwach.“

Wie marod die Infrastruktur in den Bundesländern mittlerweile ist, zeigen die Daten des Militärkommandos Salzburg deutlich auf: 70 Prozent wären hier zu sanieren, Investitionsbedarf 100 Millionen. Der Kommandant des Tiroler Jägerbataillons, Oberstleutnant Elmar Rizzoli, sagt zum Ist-Zustand: „Als Jägerbataillon haben wir derzeit nicht einmal ein Fahrzeug, das müssen wir ausleihen.“ Wer nun annimmt, die Miliz wäre eben das Stiefkind, die aktive Truppe dafür zumindest passabel ausgestattet, der irrt. Für Truppenbewegungen in einem Bundesland müssten entweder Unterstützung aus anderen Bundesländern angefordert, oder eben Fahrzeuge angemietet werden, sagt Oberösterreichs Militärkommandant Brigadier Dieter Muhr. „Wenn aber alles gleichzeitig eingesetzt werden muss, dann wird es sehr eng.“

Am Ende der Lebensdauer

Österreichweit wurden seit 2016 etwa 1093 Heeresfahrzeuge ausgeschieden, prozentuell waren das etwa in Salzburg 50 Prozent. „Es gibt einen großen Nachholbedarf, den wir im gesamten Heer haben. Das betrifft Fahrzeuge, Funkgeräte, bis in den Bereich der persönlichen Schutzausrüstung“, sagt Wiens Militärkommandant Brigadier Kurt Wagner.  Steiermarks Militärkommandant Brigadier Heinz Zöllner streicht besonders die Fliegerabwehr hervor, deren Waffensysteme „am Ende der technischen Lebensdauer“ angekommen wären. Alleine in diesem Bereich sind laut seinem Vorgänger Generalmajor Heinrich Winkelmayer Investitionen in Höhe von 460 Millionen Euro erforderlich.

Lange Vorlaufzeiten

Dass Beschaffungen dringend nötig wären, ist durchaus auch im Ministerium angekommen. Aber dort fehlt es regelmäßig an Geld und alles dauert – aus Sicht der Truppe ewig. Denn, Spezialgerät ist nicht so einfach und schnell zu bekommen wie ein Privatauto. Da gibt es lange Vorlaufzeiten, nicht zuletzt bei der Auslieferung. Und dann kommt oftmals der Sparzwang dem Militär in die Quere. Ein Beispiel: Nach der Lawinenkatastrophe in Galtür 1999 sollte das Heer mit zwölf S-70 „Black-Hawk-Hubschrauber aufgerüstet werden. 2002 kamen tatsächlich die ersten, insgesamt wurden es dann aber nur neun. Erst jetzt sollen laut Brigadier Wolfgang Wagner, Chef des Kommandos Luftunterstützung in Hörsching, 2021 und 2022 die fehlenden drei Großraumhubschrauber ankommen. In vielen anderen Bereichen heißt es dagegen weiter warten: Warten, bis es zu spät ist.

Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer Recherche der Bundesländerzeitungen und der Presse. Das Rechercheteam besteht aus: Birgit Entner-Gerhold, Michael Prock (VN), Peter Nindler (TT), Marian Smetana, Alexander Purger (SN), Eike-Clemens Kullmann (OÖN), Wolfgang Fercher, Wilfried Rombold (Kleine Zeitung), Iris Bonavida (Presse)

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