Empathie für Mr. Trump? Schwierig, aber: Ja
Donald Trump versucht gerade alles, um den Spekulationen über seinen Gesundheitszustand entgegenzuwirken. Wie es ihm wirklich geht, weiß die Öffentlichkeit nicht und man kann davon ausgehen, dass sie es mitten im US-Wahlkampf auch nicht so genau wissen soll. Bei der Wahl seiner PR-Methoden – ich bin’s, Euer Mr. Präsident, alles super bei mir! – ist Trump trotz Corona-Infektion im Trump-Modus, wie immer.
Bis hin zu selbst für seine Verhältnisse erstaunlich fahrlässigem Verhalten, wenn man sich nur die Bilder vom Sonntag ansieht: Da stattete der US-Präsident seinen Anhängern außerhalb des Krankenhauses einen kleinen Überraschungsbesuch ab und winkte den Fans aus einem schwarzen SUV zu, mit Maske (das muss ihm schwergefallen sein). Amerikanische Mediziner wie James Philipps von der George-Washington-Universität äußerten sich entsetzt über Trumps Verhalten, die anderen Personen im Fahrzeug könnten ebenfalls erkranken oder gar sterben – wegen eines „politischen Schauspiels“. Das Weiße Haus sprach daraufhin von „angemessenen Vorsichtsmaßnahmen“ für Trump und seine Mitarbeiter. Angemessenheit liegt eben auch im Auge des Betrachters.
Todeswünsche im Netz
Die Kombination aus Hybris und mangelndem Verantwortungsgefühl im Wahlkampftaumel macht es einem natürlich schwer, Empathie für den kranken Präsidenten aufzubringen, der Mitgefühl ohnehin für ein Wort aus einer anderen Welt zu halten scheint. Doch gerade in den Social Media, dem Lieblings-Spielplatz Trumps, wünschen ihm viele nun allen Ernstes einen schwierigen Krankheitsverlauf, manche sogar – mehr oder weniger verklausuliert – den Tod. Abseits dessen, dass man als Mensch mit halbwegs intaktem moralischem Grundgerüst keinem anderen Menschen, egal wem, eine höchst gefährliche Krankheit wünschen sollte, ist das ein sinnbefreites Unterfangen, das die negativen Emotionen nur noch zusätzlich anheizt und den Diskurs weiter vergiftet.
Mitmenschlichkeit fängt oft erst dort an, wo es für einen persönlich schwierig wird, sie zu leben.
Nein, man kann nicht davon ausgehen, dass eine Krankheit oder ein Schicksalsschlag einen Menschen automatisch läutern oder zu einer besseren Person machen; nein, man soll in einer zivilisierten Gesellschaft nicht anderen Gleiches mit Gleichem heimzahlen, auch wenn sich die anderen selbst gerne am Alten Testament orientieren mögen (denken wir nur an die Todesstrafe); und ja, man kann ein Grundmaß an Empathie für Mr. Trump aufbringen, auch wenn es Überwindung kosten mag.
Mitmenschlichkeit fängt oft erst dort an, wo es für einen persönlich schwierig wird, sie zu leben. Diese Übung hört nie auf, sie begleitet die gesamte menschliche Existenz. Vielleicht ist der rücksichtslose, selbstbezogene Machtmensch Donald Trump ein ganz gutes Übungsbeispiel.
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