Regierungsinserate: Millionen für Wiener Boulevard

Politik / 06.11.2020 • 05:45 Uhr / 8 Minuten Lesezeit
Regierungsinserate: Millionen für Wiener Boulevard
Transparenz werde nur vorgegeben, kritisiert Studienautor Andy Kaltenbrunner.

Laut Studie werden üppige Budgets nach unklaren Kriterien vergeben.

WIEN Die Praxis ist weltweit einzigartig: In Österreich werden aus öffentlichen Kassen große Summen für sogenannte Medienkooperationen aufgewendet. In der Regel handelt es sich dabei um Inserate. Der Medienexperte Andy Kaltenbrunner hat untersucht, wie es Regierungsmitglieder 2018 und 2019 damit gehalten haben. Ergebnis: Nach „unklaren Kriterien“ haben sie allein in den 14 Tageszeitungen des Landes Inserate um 31 Millionen Euro geschaltet; wobei der Löwenanteil an Wiener Boulevardmedien geflossen ist.Von Jänner 2018 bis Mitte 2019 ist die Bundesregierung von ÖVP und FPÖ gebildet und von Kanzler Sebastian Kurz und Vize Heinz-Christian Strache geführt worden. „Sparen im System“ war angesagt. Im letzten Quartal des ersten Jahres der türkis-blauen Zusammenarbeit gab es laut Kaltenbrunner freilich die „historisch höchsten Budgets für Medienkooperationen“.

Später, nach Beendigung der Koalition wegen der Ibiza-Affäre, ging’s ins andere Extrem: Das Expertenkabinett von Brigitte Bierlein habe die Budgets auf einen Bruchteil zusammengestutzt, zahlreiche Ressorts hätten gar keine Werbeausgaben mehr getätigt. Am meisten Steuergeld wurde 2018 und 2019 vom Finanzminister für Inserate in Tageszeitungen aufgewendet: Von den insgesamt 30,98 Millionen Euro kam mit 10,35 Millionen Euro genau ein Drittel von ihm. Aus dem Bundeskanzleramt flossen 4,46 Millionen Euro. Am wenigsten, nämlich gar nichts, kam aus dem Justizministerium; dieses Ressort ist in solchen Belangen traditionell zurückhaltend.

Sehr viel Unverständliches

Zu den Werbeschaltungen sind in der Medientransparenzdatenbank ausschließlich Auftragsvolumen angeführt. Oft stand Kaltenbrunner bei seinen Untersuchungen daher vor Rätseln. Mangels authentischer Erläuterungen der Kommunikationsmotive seien „sehr viele Werbebuchungen summarisch und im Detail unverständlich geblieben“, wie er resümiert: So habe das Sozialministerium im gesamten Beobachtungszeitraum in den Vorarlberger Nachrichten keine Informationskampagne laufen gehabt, in Boulevardblättern „Krone“, „Heute“ und „Österreich“ aber welche um jeweils fast eine halbe Million Euro. Oder das Innenministerium, das zunächst von Herbert Kickl (FPÖ) geführt wurde; laut den Berechnungen von Kaltenbrunner hat es aus nicht dargelegten Gründen fast 90 Prozent der Werbeausgaben in den drei Blättern getätigt, die auf dem Wiener Markt Stimmung machen.

Alles in allem entfielen mehr als 20,84 Millionen Euro oder 67 Prozent aller Regierungsausgaben für Inserate auf „Krone“ sowie ihre Gratisschwestern „Heute“ und „Österreich“. Ein Fünftel ging an die sieben Bundesländerzeitungen, gut ein Zehntel an „Standard“ und „Presse“, so die Studie, die den bezeichnenden Titel „Scheinbar transparent“ trägt und von den Oberösterreichischen Nachrichten, Salzburger Nachrichten, Tiroler Tageszeitung und den Vorarlberger Nachrichten mitfinanziert worden ist. Die Verteilung der Budgets ist naturgemäß relativ und auch abhängig von Reichweiten.

Auch diesbezüglich hat Medienforscher Kaltenbrunner jedoch ungleiche Gewichtungen herausgefunden. Pro Zeitungsleser gab die Regierung in Ostösterreich 3,34 Euro aus, im Westen 2,38 und im Süden mit Kärnten und der Steiermark 1,95 Euro. Nach Zeitungstiteln war der Unterschied 2018 noch größer: Beim „Standard“ entfielen 0,89 Euro auf einen Leser, bei „Österreich“ mit 5,15 Euro sechs Mal so viel. Bei VN und Neue handelte es sich mit 2,80 Euro um mehr als den Durchschnitt aller Tageszeitungen (2,37 Euro).

Regierungsinserate: Millionen für Wiener Boulevard

VN-Interview. Medienforscher Andy Kaltenbrunner (58), geschäftsführender Gesellschafter „Medienhaus Wien“

„Regierung bleibt die Möglichkeit, freihändig zu agieren“

Studienautor Kaltenbrunner: Inserate werden intransparent und ohne Zielsetzung vergeben.

SCHWARZACH Regierungsinserate können eine wichtige Informationsfunktion haben. In Wirklichkeit würden sie jedoch eher der Förderung ostösterreichischer Boulevard- und Gratiszeitungen dienen, so Medienforscher Andy Kaltenbrunner, der die Studie zum Thema erstellt hat.

Regierungsinserate können eine wichtige Informationsfunktion haben. Man denke nur an die Corona­krise. Handelt es sich andererseits aber auch um eine Medienförderung, die willkürlich vergeben wird?

KALTENBRUNNER Beides trifft zu. Natürlich ist es sinnvoll, die Bevölkerung zu informieren. Die Coronakrise ist ein gutes Beispiel dafür. Dabei müsste aber auch klar sein, dass jeder Bürger dieselbe Chance hat erreicht zu werden und nicht die Leser einer Zeitung gegenüber anderen bevorzugt werden. Hier gibt es Ungerechtigkeiten. Unsere Studie zeigt, dass eine wesentliche Bevorzugung von ostösterreichischen Boulevard- und Gratiszeitungen und damit auch ihrer Leser besteht.

Ist das eine medienpolitische Un­kultur?

KALTENBRUNNER Ja, eine Unkultur, die nicht erst von dieser oder der vergangenen Regierung erfunden worden ist, sondern die seit vielen Jahren praktiziert wird. Wobei das Problem vor allem darin besteht, dass Inserate intransparent und ohne Zielsetzungen, nach individuellen politischen Sympathien hinter dem Vorhang vergeben werden. In der Privatwirtschaft ist es selbstverständlich, klarzustellen, was mit einer Kampagne erreicht werden soll; nur so wird plausibel, warum sie wie über welche Medien läuft. In der Politik ist das anders.

Um beim Corona-Beispiel zu bleiben: Wenn die Regierung in eigenen Inseraten über Hilfsmaßnahmen informiert, müsste sie das vom Boden- bis zum Neusiedlersee gleichermaßen tun?

KALTENBRUNNER Natürlich. Genau hier bestehen in der Praxis aber sehr große Unterschiede, die nicht logisch sind. Warum wird im Süden oder Westen viel weniger informiert als in Ostösterreich? Die Antwort ist ganz offensichtlich, dass die dortigen Medien stärker gefördert werden sollen.

Steckt Absicht dahinter, dass die Transparenzdatenbank, über die die Ausgaben für Inserate veröffentlicht werden, alles andere als benutzerfreundlich ist?

KALTENBRUNNER Auf Basis der Forschungsergebnisse unterstelle ich, dass Transparenz im Titel steht, aber nie ein Ziel war. Es ist wenig Information und die auch nur befristet auf zwei Jahre abrufbar. Damit bleibt der Regierung die Möglichkeit, sehr freihändig zu agieren. Ein Laie braucht 100 Stunden, um zu den gewünschten Informationen zu gelangen, und dann noch Detailkenntnis des Marktes, um das inhaltlich einordnen zu können. Das ist unzumutbar.

Deutschland ist bei Regierungsinseraten viel zurückhaltender.

KALTENBRUNNER Gemessen an der Bevölkerung wird dort nur ein Neuntel für Regierungsinserate ausgegeben. Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht dort schon in den 1970er-Jahren der Unsitte einen Riegel vorgeschoben, dass Kanzler und Minister vor Wahlen unter Einsatz von Steuergeldern mehr inserieren lassen, um sich als Einzelpolitiker und Parteien stärker bemerkbar zu machen. In Österreich ist in den Inseratenausgaben eben auch eine verdeckte allgemeine Printmedienförderung mitverpackt. Diese aber braucht gescheite, faire Kriterien.

Und wie verhält sich das in anderen Ländern?

KALTENBRUNNER Bei Regierungsinseraten liegt Österreich hoch. In Skandinavien gab es traditionell höhere Förderbudgets für Pressevielfalt und Journalismus. Für einen seriösen internationalen Vergleich sind aber viele Förderungen, Subventionen, Steuerbegünstigungen und Strukturhilfen einzubeziehen. Das fällt für Österreich schwer, weil gerade bei uns sehr schlampige Mischformen existieren und zu viele widersinnig getrennte Fördertöpfe für Medien.

Texte: Johannes Huber, Grafik: Matthias Klapper; Quelle: Medienhaus Wien