Make America Great Again?
Seit Monaten amüsieren wir uns damit, einander gegenseitig immer neue Karikaturen, Fotomontagen und Videos mit einem zur Witzfigur reduzierten Donald Trump zuzusenden – und schaudern zugleich über Schreckensnachrichten aus den USA: Hass, Gewalt, Angst, unaufhaltsamer Vormarsch des tödlichen Virus. „Make America Great Again!“ – mit diesem vollmundigen (allerdings nicht von Trump erfundenen, sondern lange zuvor schon von Reagan, Goldwater und Clinton im Präsidentschaftswahlkampf eingesetzten) Versprechen hatte Trump im Juni 2015 seine Wahlkampagne eingeläutet. Der Wahlverlierer Trump hinterlässt ein Amerika, das in seiner Regierungszeit alles andere als „great“ geworden ist.
Die NZZ spricht von einem „kollektiven Aufatmen“, das jetzt durch Europa gehe – weniger über den Wahlsieg Bidens als über das Abtreten des sprunghaften, lügnerischen Egomanen Trump. Die Zeit der Unberechenbarkeit des mächtigen transatlantischen Partners scheint nun für Europa endlich ein Ende zu nehmen – der Nachfolger Biden habe, so lautet die Hoffnung, mehr Sympathie und Verständnis für die Nato und die EU, den wichtigsten Handelspartner der USA. Vor allem erhofft sich Europa die Schubumkehr von dem durch den Nationalisten Trump geförderten Protektionismus mit Import- und Strafzöllen. Während Trump großmäulig den Klimawandel zu negieren versuchte, scheint Biden mit der versprochenen Rückkehr zur Pariser Klimakonvention und der Ankündigung, die USA in 30 Jahren „klimaneutral“ zu machen, das Ruder herumzuwerfen. Grund zum Optimismus. Weniger allerdings für die europäischen Rechtspopulisten dieser Welt in Ungarn, Slowenien und Polen, welche jetzt ihren Mentor einbüßen. Gut so.
Trumps letzte 90 Tage könnten die gefährlichste Periode in der Geschichte der USA werden.
Joe Biden zieht mit einem beträchtlichen außenpolitischen Erfahrungsschatz und mit mehr zeitgenössischer Geschichtsanschauung ins Weiße Haus ein als die meisten seiner Vorgänger. Er gilt zu Recht als anständig. Doch gibt es keinen Grund zur Euphorie: Biden ist zwar kein zweiter Obama, aber seine designierte Vizepräsidentin Kamala Harris ist eine Hoffnungsträgerin. Doch für den Demokraten Biden wird es kaum möglich sein, gegen den republikanisch dominierten Senat Reformen durchzubringen, wie zum Beispiel die dringend nötige Reform des Gesundheitswesens. Amerika ist nach dem Trump-Desaster gespaltener denn je seit dem Bürgerkrieg – die Chancen Bidens, mit seiner auf Ausgleich bedachten Persönlichkeit die polarisierte Nation zu einigen, sind gering. 13,9 Milliarden Dollar hat dieser Wahlkampf gekostet, und Trump ist nur einer von zwei Präsidenten, dem in den letzten 40 Jahren eine zweite Amtszeit verweigert wurde. Aber Achtung: Trump hat in dieser Wahl dennoch (und trotz Covid-19) Millionen mehr Stimmen erhalten als 2016. Analytiker warnen: Die letzten 90 Tage von Trumps Regierungszeit könnte sich als die gefährlichste Periode in der Geschichte der Vereinigten Staaten erweisen: Trump werde in der USA wüten wie ein wild gewordenes Kind mit einem Vorschlaghammer in einem Porzellanladen.
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