Wiederentdeckung der Normalität
Die Welt wird gegenwärtig Augen- und Ohrenzeuge eines politischen Kontrastprogramms. Hauptakteure sind dabei der schon seit vier Jahren durch die Weltgeschichte trampelnde und lebensgefährliche Wüterich im Weißen Haus und der dort am 20. Januar einziehende „Onkel Joe“ mit seinem Baldrian-Effekt für verschreckte Gemüter.
Noch-Präsident Donald Trump macht mafiös weiterhin, was er während seiner gesamten bisherigen Amtszeit veranstaltete: Er bedient die sozialen Medien fieberhaft mit Verschwörungstheorien. Er setzt Freunde und Verbündete in nahezu aller Welt unter Druck (etwa wegen Verteidigungsausgaben und Gas-Pipelines). Dazu „säubert“ er den Regierungs- und staatlichen Verwaltungsapparat von Personal, das nicht blinden Gehorsam praktiziert. Was Mussolini-Kopien eben so einfällt.
In der verbleibenden Zeit pflastert Trump das politische Gelände für seinen gewählten Präsidenten-Nachfolger mit sprichwörtlichen Minen: Mit wie am Fließband verfertigten Präsidentenanordnungen besetzt er Ministeriumsposten mit ultrarechten Gefolgsleuten, die der neue Präsident nur schwer wieder los wird. Gleichzeitig verbaut er dem nächsten Präsidenten den Weg zur Verwirklichung von dessen Regierungsvorhaben: beispielsweise mit dem Abbau von Umweltvorschriften, einer Verschärfung der Einwanderungsbestimmungen und der Vergabe neuer Bauaufträge für die Mauer an der Grenze zu Mexiko. Mit realitätsfernen Behauptungen klagt er in der verbleibenden Zeit vor allen möglichen Gerichten gegen das amtlich ermittelte Ergebnis der von ihm krachend verlorenen Präsidentschaftswahl. Dazu forderte er ihm nahestehende Landesfürsten auch noch allen Ernstes (und erfolglos) auf, den Namen des Wahlsiegers von „Biden“ auf „Trump“ zu ändern. Wer das „Putschversuch“ oder „krank“ nennt, kann so falsch nicht liegen.
„Uncle Joe“, der ehemalige Vizepräsident und gewählte Trump-Nachfolger, verbreitet derweil mit Großvaterlächeln und gelegentlichem Stirnrunzeln bei Interviews unaufgeregt Wohlfühlatmosphäre. TV-Zuschauer, die bei Trumps Krawallauftritten den Fernsehton leiser stellen mussten, müssen den Ton jetzt aufdrehen. Zum besseren Hören, was der neue Präsident zum Wohle des Volkes alles schon in der Schublade hat: jede Menge Präsidentenverfügungen und Gesetzesvorhaben in den Bereichen Sozial-, Außen-, Sicherheits- sowie Handels- und Wirtschaftspolitik im Allgemeinen. Alles Vorhaben, die in jedem Fall das Gegenteil vom Wirken seines Vorgängers darstellen. Er verspricht sogar, unangenehme Wahrheiten nicht zu verschweigen und nicht zu lügen.
Für die nicht-amerikanische Welt verspricht der bevorstehende Abgang von Trump und das Erscheinen von Biden auf der Washingtoner Bühne damit zumindest eines: die Wiederentdeckung der Normalität, die nicht länger den Schlaf raubt.
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