Kampfzone Frau
Die Höchstrichter haben entschieden: Ein Kopftuchverbot an Volksschulen verstößt gegen das Gebot der religiösen und weltanschaulichen Neutralität. Das bedeutet nicht, dass kein Kopftuchverbot möglich wäre. Es muss sich nur auf alle religiösen Kopfbedeckungen beziehen, etwa auch auf die jüdische Kippa oder den Patka der Sikhs. Das 2019 von Türkis-Blau eingeführte Verbot bezog sich allerdings nur auf den Hidschab, das islamische Kopftuch für Frauen. Vereinfacht könnte man dieses Gesetz als symbolische, im wörtlichen Sinn billige Integrationspolitik mit antiislamischem Beigeschmack und Zielpublikum Mehrheitsgesellschaft bezeichnen. Das einzige Risiko war, dass der Verfassungsgerichtshof die Diskriminierung einer Religionsgruppe nicht zulässt. Was er nun auch tat.
Der Hidschab wird jedoch nicht nur als Symbol des Islam oder gar Islamismus gesehen, sondern ebenso als Zeichen der Unterdrückung von Frauen. Es spaltet damit nicht nur Parteien, sondern auch Feministinnen und Frauenrechtler. Bildungsminister Heinz Fassmann und Frauenministerin Susanne Raab (beide ÖVP) bedauern etwa, dass nun Mädchen weiterhin zum Kopftuch gezwungen werden könnten. Dabei wird ein Bild der unmündigen Frau und insbesondere der wehrlosen Muslima erzeugt, gegen das sich wiederum viele Frauen mit Kopftuch wehren. Sie wollen nicht nur als Objekt und Opfer von Männern gesehen werden.
Männer rechtfertigen seit Jahrhunderten mit religiösen Vorschriften die Kontrolle über den weiblichen Körper.
Doch Männer rechtfertigen tatsächlich seit Jahrhunderten mit religiösen Vorschriften, die von ihnen angestrebte Kontrolle über den weiblichen Körper. Dies ist allerdings keine Besonderheit des Islam, oder eine Praxis, die heute nur mehr in fernen Ländern vorkommt. Dazu genügt ein Blick nach Polen in diesen Tagen. Dort protestieren seit Oktober Tausende Frauen und Männer gegen ein drohendes faktisches Abtreibungsverbot mit Plakaten wie „Hölle für die Frauen“. Die Gesetzesänderung wurde dort vom Verfassungsgericht verlangt und von der katholischen Kirche begrüßt. Die Regierung spielt inzwischen auf Zeit und wartet bis der Protest erlahmt. Die Welt ist ja mit Corona beschäftigt. Doch das ist keine Ausrede dafür, dass der Aufschrei gegen den Rückschritt für Rechte und Gesundheit von polnischen Frauen in anderen EU-Staaten ausbleibt.
Frauen auf der ganzen Welt haben mehr Solidarität verdient. Gegen die grausame Praxis der Genitalverstümmelung, gegen sexuelle Ausbeutung, gegen ungerechte Löhne oder gegen ungleiche Verteilung von unbezahlter Arbeit. Mädchen auf der ganzen Welt verdienen gleiche Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben. Keine Religion darf das verhindern, wenn wir das Neutralitätsgebot ernst nehmen. Der Körper der Frau darf aber auch nicht mehr die Kampfzone für politische Parteien sein –unter dem Vorwand von Religion.
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