Nach dem Lockdown ist vor dem Lockdown
Der dritte Lockdown. Keiner wollte das, alle hassen das Eingesperrtsein. Der Lockdown ist jetzt alternativlos. Noch vor wenigen Wochen wäre das völlig anders gewesen. Doch den zweiten zunächst weichen, dann erhärteten Herbst-Lockdown haben die meisten nicht so ernst genommen, als dass er ausreichend Wirkung gezeigt hätte. Wir alle haben uns zu sehr gehen lassen, sonst wär’s nie dazu gekommen, dass unser Gesundheitssystem an einer Katastrophe vorbeigeschrammt ist.
Der Herbst-Lockdown kam außerdem zu spät, viel zu spät. Diesen Vorwurf müssen sich Gesundheitsminister und Bundeskanzler machen lassen.
Bundeskanzler, Vizekanzler, Gesundheitsminister und Innenminister waren es auch gestern, die als höchstes Corona-Kommunikationsteam den dritten Lockdown verkündeten. Es ist weiterhin das ,Virologische Quartett’, das die Marschroute ausgibt. Kurz-Kogler-Anschober-Nehammer sagen hinter Plexiglas-Pulten, was die allermeisten im Publikum schon erahnen oder ziemlich genau wissen.
Die maßgeblichen Sätze der Krise stammen alle vom Kanzler selbst: “Nur vier Gründe, das Haus zu verlassen.” – “Jeder wird jemanden kennen, der an Corona gestorben ist.” – “Licht am Ende des Tunnels.” – “Drei Phasen.”
Dabei ist der Bundeskanzler alles, aber kein Virenexperte. Die beratenden Wissenschaftler bleiben oft im Hintergrund, wechseln auch in der Gunst. Im Gesundheitsministerium und Kanzleramt sind es unterschiedliche Fachleute, denen Vertrauen geschenkt wird. Es ist noch immer nicht klar, ob es ein von beiden Koalitionspartnern akzeptiertes und respektiertes Fachgremium gibt, auf dessen Vorschläge sich die Regierung, ja Österreich, verlassen könnte. Die Unterstützung der Bevölkerung in der Pandemiebekämpfung wird durch die politische Kommunikation zu einer politischen Frage: “Ich helfe doch dem Kurz nicht, in dem ich zu den Massentests gehe.” Das erinnert an Phasen in den USA, wo es zu einem politischen Bekenntnis wurde, Maske zu tragen: Demokraten trugen Maske, Republikaner demonstrativ nicht.
Das Streben nach perfekter Polit-Kommunikation ist in Verquickung mit der Pandemiebekämpfung kontraproduktiv. Eine Sackgasse, ein Irrweg. Die Bekämpfung der Pandemie ist keine Frage von türkis oder grün, von links oder rechts.
Die Regierung hat ein veritables Vertrauensproblem.
Die Deutschen machen vor, wie unabhängige Fachleute ihre Empfehlungen aussprechen und die Politik dann um mehrheitsfähige Lösungen ringt, abwägt und handelt.
Läuft der Vorgang transparent ab, wie beim Robert-Koch-Institut oder der Leopoldina, profitieren Bürger, aber auch die Politik.
In den kommenden Wochen und Monaten muss die Regierung die Wissenschaft in den Mittelpunkt rücken: um akzeptable Raten bei den Testungen zu schaffen und – außerordentlich wichtig – rasch eine breite Impfbereitschaft zu erreichen. Die Impfung wird die Pandemie nämlich nur beenden, wenn wir alle mit gutem Beispiel vorangehen. Eine individuelle Risikoabwägung ist ohnehin unmöglich. Das geht nur mit Vertrauen in die Wissenschaft, nicht die Politik.
Gerold Riedmann ist Chefredakteur der Vorarlberger Nachrichten.
Twitter: @gerold_rie
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