Präventionsparadoxon
Was sehr kompliziert klingt, haben wir alle in den letzten Monaten selbst erlebt. Zuerst werden uns zur Pandemie-Bekämpfung Einschränkungen auferlegt. Wir halten uns daran, tragen Maske, halten Abstand, waschen uns die Hände. Nichts passiert. Daher schleicht sich das Gefühl ein, dass vielleicht doch nicht alles notwendig gewesen wäre. Aber gerade weil die Maßnahmen erfolgreich waren, wurde der Ernstfall abgewehrt. Doch wie sollen wir aus Furcht vor einem rein theoretischen Schaden weiter an die Sinnhaftigkeit unseres Tuns glauben? Worin soll die Motivation liegen, wenn wir unsere Gewohnheiten ändern, nur damit rundherum im besten Falle alles andere so bleibt wie zuvor?
Eine ganz ähnliche Situation durchleben derzeit die Grünen. Bei der Abschiebung von gut integrierten Schulkindern nach Georgien blieb den Grünen nur eine Argumentation: Mit der FPÖ in der Regierung wäre alles noch schlimmer gekommen! Das erinnert an das eingangs erklärte Präventionsparadoxon: Der Status Quo ist zwar nicht befriedigend, aber wir kämpfen mit allen Mitteln gegen mögliche Verschlechterungen.
Zuversicht und Perspektiven bräuchten auch die Grünen dringend.
Diese öffentliche Verlegenheit des kleinen Koalitionspartners wurde durch die irritierenden Bilder des nächtlichen Polizeieinsatzes im Auftrag des Innenministers provoziert. SPÖ und Neos setzten dann in einer Sondersitzung der FPÖ noch eins drauf, indem sie die Grünen zwangen, aus Koalitionsräson gegen einen Antrag zu stimmen, den sie davor in Wien noch unterstützt hatten. Doch der Parteispitze rund um Werner Kogler und Sigrid Maurer gelang es, die grüne Klubdisziplin zu wahren. Lediglich zwei Abgeordnete blieben der Sitzung unentschuldigt fern, das grüne Regierungsteam fehlte ebenfalls. Dazu kam demonstrativ verweigerter Applaus für die ÖVP, aber mehr an Protestmaßnahmen konnten die Grünen nicht aufbieten oder wagten es nicht. Denn in einem Punkt haben sie recht: Für viele ihrer Pläne gibt es keine politische Mehrheit gegen den Willen der ÖVP.
Nun kann dies als professionelles Verhalten einer Regierungspartei beurteilt werden oder als Totalaufgabe jeglicher politischer, moralischer Grundsätze. Bei der Finanzierung des öffentlichen Verkehrs oder der Kürzung der Parteienfinanzierung zeichnen sich schon die nächsten Nagelproben für die grüne Glaubwürdigkeit ab. Gesundheitsminister Anschober meinte, uns mit den Lockerungen Zuversicht und Perspektiven zu geben. Diese bräuchte auch seine Partei dringend. Der Parlamentsklub, die Funktionäre, aber vor allem die Wählerinnen und Wähler. Denn sich vor Türkis-Blau zu fürchten wird sie nicht bei der Stange halten. Da kann auch Irmgard Griss mit einer Kinderschutzkommission nicht darüber hinwegtäuschen.
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