Mit dem Nichtwissen leben
Mit der eigenen Ohnmacht umzugehen, das ist ja eine der schwierigsten Übungen. „So viel Wissen über unser Nichtwissen und über den Zwang, unter Unsicherheit handeln und leben zu müssen, gab es noch nie“, sagt Jürgen Habermas, einer der bedeutendsten Philosophen der Gegenwart, im vergangenen ersten Jahr der Pandemie in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau. Diesen Zustand des Nichtwissens wahrzunehmen ist schmerzhaft, damit konstruktiv umzugehen, umso schwieriger. Das zeigt sich jetzt am Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit, von Wissenschaft und Journalismus. Gerade an der unglücklichen öffentlichen Debatte rund um den Impfstoff AstraZeneca erkennt man: Wir wissen nicht, dass wir nichts wissen – und wenn wir es bemerken, ist es schon zu spät.
AstraZeneca, jener Impfstoff aus Oxford, auf dessen großflächigen Einsatz unter anderem auch die österreichische Impfstrategie aufbaute, ist mittlerweile bei vielen unten durch, so auf die Art: Mit diesem billigen, weniger wirksamen Vakzin will ich sicher nicht geimpft werden – wenn, dann mit den mRNA-Impfstoffen von Bointech/Pfizer oder Moderna! Anstatt auf renommierte Impfstoff-Experten wie Florian Krammer zu hören, die meinen: Jeder in Europa zugelassene Stoff ist gut und bietet mit einer ersten Dosis zumindest einen Grundschutz, auf den man eine 2. Dosis der begehrten mRNA-Vakine „draufimpfen“ könnte. Natürlich ist auch AstraZeneca mitverantwortlich für das schlechte Image, die Öffentlichkeitsarbeit des Herstellers ließ lange sehr zu wünschen übrig. Doch das nun Frankreich, Deutschland oder Italien nur niedrige Prozentzahlen des unbeliebten Vakzins verimpfen, ist höchst problematisch: Mehr Todesfälle können die Folge sein.
Unzulässige Zuspitzungen
Für diese Entwicklung tragen auch wir Medienleute Verantwortung. Wissenschaft als Prozess, der sich gerade bei diesem Virus auf offener Bühne weiterentwickelt – dafür ist auch der Journalismus nicht gerüstet. Man will einordnen und erklären, stößt aber auf die Grenzen des Wissens und Verstehens, so kommen dann auch unzulässige Zuspitzungen oder Verkürzungen heraus: AstraZeneca = schlecht. Und so funktioniert leider unsere Aufgabe als Übersetzer von komplexen Inhalten nicht.
Der Physiker und Wissenschaftspublizist Florian Aigner hat mir bei einem Interview einen Ratschlag für den Journalismus mitgegeben: „Wir müssen es schaffen, schwierige Dinge noch einfacher zu erklären, zu unterscheiden, was sind die wichtigen Dinge, was sind vielleicht unwichtigere Details und wo wissen wir einfach noch nicht alles – und das sollen wir dann ganz offen dazu sagen.“ Klingt einfacher als es ist, aber den Versuch, besser zu werden, müssen wir unternehmen.
Kommentar