Das Kreuz mit den Corona-Leugnern
Der Demonstrant in der Wiener Innenstadt zieht ein überdimensionales Kreuz hinter sich her und ich wage jetzt einmal zu behaupten, dass dieser Vergleich mit Jesus, ganz egal aus welcher Perspektive, so absurd wie unverschämt ist. Andere Maskenverweigernde im Demo-Modus bedrängen Menschen, die ihre Freizeit im Prater auf der Wiese verbringen oder einfach mit der U-Bahn fahren. Wenn wie vergangenen Samstag wieder Tausende in Wien gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße gehen, ist die Stimmung leider bei einem Teil von ihnen unangenehm aggressiv aufgeladen – man fühlt sich als Beobachterin beklommen und verloren in der eigenen Stadt.
Politik, Exekutive, Öffentlichkeit, wir haben alle noch immer keinen vernünftigen Umgang mit diesem Phänomen gefunden. Man weiß, dass sich bei den Demonstrationen verschiedene Gruppen wild durcheinander mischen und dass man nicht von dem einen Typus Corona-Leugner oder -Leugnerin sprechen kann. Verschwörungsgläubige treffen da auf Leute, die von der Krise persönlich stark betroffen sind, bis hin zu verurteilten Neonazis, die mit Corona ein Thema gefunden haben, unter dem sie ihre Propaganda verbreiten wollen. Und auch die FPÖ versucht in geübter Manier, die Stimmung gegen die Regierung für sich zu nützen.
Nun rächt sich unter dem Druck der Pandemie auch, dass wir keine Orte der Begegnung haben.
Jeder und jede hat das demokratische Grundrecht, gegen Maßnahmen der Politik zu demonstrieren. Demonstrationen zu untersagen, befördert vor allem den Opfermythos, den manche so gerne für sich nutzen. Nun rächt sich unter dem Druck der Pandemie allerdings auch, dass wir keine Orte der Begegnung haben, an denen sich Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund zum Austausch treffen, wie es früher oft Parteien oder Kirchen waren. Wir sind uns fremd, jetzt noch mehr als vor der Krise.
Wohin mit Kritik?
Und es fehlen niederschwellige Kanäle, über die man berechtigte Kritik und Fragen zum Corona-Management an die Politik richten und so in einen sachlichen Dialog treten könnte – solche Möglichkeiten des Austausches sind natürlich auch nicht leicht umzusetzen. Dennoch wäre jede öffentliche Plattform dieser Art wohl die Mühe wert. Aus Studien weiß man, dass etwa ein Drittel der Bevölkerung für Verschwörungsideen anfällig ist, in unterschiedlichem Ausmaß. Einen Teil von ihnen wird man mit Gesprächsangeboten sicher nicht mehr erreichen; mit anderen ist aber vielleicht noch ein Dialog möglich.
Oder andersherum betrachtet: Wenn man die Kommunikation mit allen Demonstrierenden einstellt, wie ein kleines Kind, das sich die Ohren zuhält und laut singt, wenn ihm etwas nicht passt – dann werden wohl noch mehr Leute Kreuze durch die Gegend schleifen und ihren Zorn auf alle anderen richten, die sie als Unwissende oder gar Feinde sehen.
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