Julia Ortner

Kommentar

Julia Ortner

Anderssein? Lieber nicht

Politik / 22.03.2021 • 19:00 Uhr / 3 Minuten Lesezeit

Was gehört zu einem gelungenen Leben dazu? Bietet unsere Gesellschaft genug Raum für Menschen, die ein wenig anders sind als die anderen? Was macht das Menschsein aus? Mitten in dieser Zeit zwischen den Welten – der gewohnten Welt der modernen Wettbewerbsgesellschaft und der beengenden Welt der Pandemie – fiel nun ein Tag, an dem sich diese Fragen stellen: der Welt-Down-Syndrom-Tag, immer am 21. März des Jahres. Menschen mit Down-Syndrom tragen in ihren Körperzellen 47 statt der üblichen 46 Chromosomen. Das 21. Chromosom ist dreifach vorhanden, daher spricht man auch von Trisomie 21.

In Österreich leben heute etwa 9.000 Menschen mit Down-Syndrom, weltweit wird jedes 700. bis 800. Kind mit Trisomie 21 geboren. Und es kommen seit Jahren immer weniger dieser Kinder auf die Welt – da viele werdenden Eltern sich im Fall einer Pränatal-Diagnostik gegen ein Kind mit Down-Syndrom entscheiden. Eine sehr schwierige und belastende Entscheidung, die natürlich immer auch davon abhängt, ob man die persönlichen, sozialen und finanziellen Möglichkeiten aufbringen kann, ein Kind mit besonderen Bedürfnissen aufzuziehen.

Die letzten Kinder

Wird es künftig überhaupt noch Kinder mit Trisomie 21 geben? Diese Frage habe ich mir schon einmal 2007 gestellt, als ich eine große Cover-Geschichte über die 11-jährige Fanny Neumayer aus Wien verfasste – eine Geschichte, die mir bis heute viel bedeutet. Fanny mochte die gleichen Dinge wie andere kleine Mädchen: Pferde, Pizza, Mousse au Chocolat, Astrid Lindgren, Wallace & Gromit, ihren schwarz-weißen Kater Maunzi, die beste Freundin Sonja oder ihre Puppen. Sie machte alles etwas langsamer als andere Kinder – ein Hauptmerkmal der Menschen mit Down-Syndrom. „Meine Zellen sehen anders aus“, sagte Fanny damals.

Warum ist Anderssein und Vielfalt nicht erwünscht, wovor scheuen sich da manche?

Die zufällige Abweichung von der klassischen Chromosomenzusammensetzung ist keine Krankheit, führt aber zu einer langsameren körperlichen Entwicklung und einem intellektuellen Handicap, einer Lernbehinderung. Die betroffenen Familien ringen vor allem mit der Bürokratie, die Kinder bräuchten oft mehr Unterstützung und Möglichkeiten vom Kindergarten über Schule bis hin zur Berufs-Ausbildung – wenn sie diese bekommen, können sie ein erfülltes Leben führen, einen Job haben, wie andere Menschen auch.

Menschen wie Fanny sind die letzten Kinder, weil ihr Anderssein in unserer Gesellschaft offensichtlich immer weniger Platz hat. Warum ist Anderssein und Vielfalt nicht erwünscht, wovor scheuen sich da manche? Vielleicht auch ein Gedanke, mit dem man sich in der erzwungenen Ruhe der Pandemie einmal beschäftigen könnte. Und ich werde recherchieren, wie die kleine Fanny Neumayer heute als Erwachsene lebt.

Du hast einen Tipp für die VN Redaktion? Schicke uns jetzt Hinweise und Bilder an redaktion@vn.at.