Die Bundesregierung ist entzaubert

Vertrauenswerte brechen ein: Das liegt nicht nur an der Coronapolitik, auch an Skandalen und dicker Koalitionsluft.
Wien So tief ist Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) schon lange nicht mehr gesunken, mit ihm stürzte der Großteil der Bundesregierung in den Vertrauenswerten ab. Schuld ist nicht nur die Coronapolitik. Es geht auch um Postenschacher, Koalitionsstreit und Entzauberung.
Schwächster Wert seit 2013
Die Austria Presse Agentur und das Meinungsforschungsinstitut OGM befragen regelmäßig 800 Österreicherinnen und Österreicher, ob sie Kanzler und Co. vertrauen. Schwebten sie vor einem Jahr in nie dagewesenen Höhen, sanken ihre Werte in der Zwischenzeit unter Vorkrisenniveau. Sebastian Kurz erreicht seinen schwächsten Wert seit Dezember 2013. Auch Gesundheitsminister Rudolf Anschober (beide Grüne) büßte massiv an Vertrauen ein. Unterm Strich verbuchen sieben Regierungsmitglieder (alle ÖVP) negative Werte, acht Minister und die beiden Staatssekretäre liegen noch im positiven Bereich.
Kein Tiefpunkt
Es war schon schlimmer, erklärt Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle den VN. “Ich kann mich an Zeiten der Großen Koalition erinnern, in denen alle außer dem Bundespräsidenten im Minus waren.” Die Vertrauenswerte vor einem Jahr seien extreme Ausreißer gewesen. Damals erklärten 74 Prozent der Befragten, dem Kanzler zu vertrauen, 23 verneinten das. Der Saldo von 51 Punkten war ein Rekord. Anschober erreichte 49. Daraufhin sanken die Werte. Der Gesundheitsminister flog im Jänner sogar aus den Top fünf. Mittlerweile liegt er auf Platz elf. Kurz rutschte auf Platz vier. “Es kam sicher zu einer gewissen Entzauberung und Enttäuschung”, erklärt Stainer-Hämmerle mit Blick auf die Coronapolitik. OGM-Chef Wolfgang Bachmayer spricht von einer Frustration, unter anderem auf Grund der Versäumnisse bei den Impfstoffbestellungen. Außerdem habe die Chat-Affäre um die Bestellung des ÖBAG-Chefs Thomas Schmid der ÖVP zugesetzt. Finanzminister Blümel stürzte um 13 Punkte auf minus 16 ab. Kurz liegt bei neun.
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Die ÖVP verteidigt die bekannt gewordenen Chats als saloppe Botschaften unter alten Bekannten. Die Angriffe gegenüber der Kirche begründete Blümel damit, dass das Finanzministerium immer eine andere Position als das Gegenüber einnehmen müsse. Von Postenschacher möchte die Volkspartei nichts wissen. Die bekannt gewordenen Nachrichten seien aus dem Zusammenhang gerissen und die Vorgänge üblich.
Damit widerspricht sich die ÖVP allerdings selbst, meint Stainer-Hämmerle. “Dem würde ich die gesunkenen Vertrauenswerte stark zuschreiben.” Schließlich sei Kurz mit dem Versprechen zur Wahl angetreten, mit alten Strukturen zu brechen; nicht nur mit der großen Koalition und dem Proporz, sondern auch mit Freunderlwirtschaft und Postenschacher.
Rücktrittsgerüchte um Anschober
Koalitionsstreitereien und Corona setzen auch den Grünen zu. Vizekanzler Werner Kogler büßt zehn Vertrauenspunkte ein. Anschober elf. Er hat zusätzlich mit Rücktrittsgerüchten zu kämpfen, nachdem er heuer ein zweites Mal krankheitsbedingt ausgefallen ist. Sein Ressort versicherte aber, dass er kommende Woche wieder zurück in Amt und Würden sei. Laut Stainer-Hämmerle könnte dem Minister die Flucht nach vorne helfen. Er könnte ein ärztliches Attest veröffentlichen, das ihm eine gute Gesundheit bescheinigt. “Dann gäbe es nicht mehr so viel Raum für Spekulation.” Alexander Van der Bellen hat dies vor seiner Wahl zum Bundespräsidenten so gemacht. Er liegt derzeit an der Spitze des Vertrauensindex.
Unüblich ist, dass Außenminister und Nationalratspräsident derart weit hinten platziert sind. Normalerweise sind ihnen vordere Plätze sicher. Alexander Schallenberg und Wolfgang Sobotka hätten sich aber zu sehr in die Innenpolitik reinziehen lassen, sagt Steiner-Hämmerle. Vor allem Sobotka polarisiert mit seiner Vorsitzrolle im Ibiza-U-Ausschuss. Sein negativer Vertrauenswert wiege schwer: “Es ist nicht gut, wenn der Nationalratspräsident so beschädigt wird. Das Parlament braucht ein hohes Ansehen.” Mit Doris Bures (SPÖ) genießt zumindest eine Präsidentin noch Vertrauen. Mit neun Punkten liegt sie mit Kanzler Kurz gleich auf.