Gerold Riedmann

Kommentar

Gerold Riedmann

Superminister

Politik / 14.04.2021 • 07:30 Uhr / 3 Minuten Lesezeit

“Überarbeitet und ausgepowert” klingt nach 14 Monaten Durcharbeiten ohne Ruhetag logisch, jedenfalls nachvollziehbar. Die Last eines Tages lässt sich irgendwann nicht mehr mit einem nächtlichen Spaziergang mit Hund “Agur” abstreifen, wenn es schon nach wenigen Stunden Schlaf unvermittelt weiter geht. Morddrohungen, die eine Grundbelastung bilden.

Zuletzt waren nebst dem eigentlichen Kampf gegen die Pandemie zunehmend offener ausgetragene Kämpfe gegen Windmühlen, aufgestellt vom eigenen Regierungspartner, zu beobachten. Als ich Rudi Anschober Mitte Februar als Gast bei “Vorarlberg Live” fragte, ob er müde sei, hätte ich nie mit der ehrlichen Antwort gerechnet: “Ja, ich bin müde.” Zusatz: “Wie vermutlich alle Österreicherinnen und Österreicher.” Recht hat er.

Von Anfang an spürte Rudolf Anschober in der Pandemiebekämpfung nicht vollen Rückhalt aus dem türkisen Bundeskanzleramt. Sebastian Kurz bildete sich seine Meinung mit anderen Experten als jenen des Gesundheitsministeriums. Manchmal, wie anfangs bei der gescheiterten Stopp-Corona-App oder zuletzt beim Sputnik-Impfstoff gab es mindestens Parallelpläne der ÖVP. Die Schaltzentrale der Pandemie, oft genug das Kanzleramt, nicht das Gesundheitsministerium. Und oft genug nicht 100 Prozent gesynct.

Die Grünen mussten lernen, wie kalt und hart Regierungsarbeit sein kann. Einer wie Anschober, der vermitteln will, dem Kosens ein hohes Gut ist, wird da schon mal aufgerieben. Die Kritik am Impfstoffeinkauf Österreichs ist berechtigt, das ist wahrlich kein Ruhmesblatt und kostet Menschenleben. Doch nicht ein einzelner Beamter ist der Schuldige, sondern die gesamte Bundesregierung, ÖVP und Grüne, tragen die Verantwortung.

Rudolf Anschober hat gestern das schmerzhafteste Eingeständnis selbst sehr transparent erklärt: dass er momentan einfach nicht weitermachen kann. Wem der Minister ausdrücklich nicht dankte: seinem Regierungspartner, der ÖVP. Logisch, wenn man die Vorgeschichte kennt.

Rudi Anschober war geduldiger Erklärer, ein Mahner, der sich immer Zeit nahm. Der die Testregion Vorarlberg selbst bis an die Erschöpfungsgrenze mit dem Landeshauptmann verhandelte. In den Grünen Plänen war Leonore Gewessler als Superministerin vorgesehen. Die Realität der vergangenen 14 Monate hat gezeigt, dass Rudolf Anschober in Wahrheit der Superminister war.

Sein Nachfolger, der Wiener Hausarzt Wolfgang Mückstein, ist nicht derart politisch unerfahren, wie man auf den ersten Blick glauben möchte. Mückstein verhandelte für die Grünen das Gesundheitskapitel der Koalition mit, er beriet Anschober in der Pandemie, wirkte zum Beispiel auch bei der Teststrategie mit. Mit Jeans und Turnschuhen absolvierte er seine Auftaktpressekonferenz. Anschobers Fußstapfen als Politiker sind groß, zusätzlich war der Politprofi mit Vorschussvertrauen versehen, was sich in sehr guten Beliebtheitswerten manifestierte.

Mückstein hat eine große Aufgabe vor sich. Als erstes muss er beweisen, dass die Koalitionspartner an einem Strang ziehen. Und das klingt aktuell ziemlich unmöglich, offengestanden.

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