Sagen Sie niemals Donald Trump zu ihm
Am Montag steht der Internationale Tag der Pressefreiheit an. Es gibt auch in Vorarlberg Situationen, in denen wir unseren Journalismus verteidigen müssen. Manchmal werden wir direkt, manchmal über Umwege angegriffen. Und manchmal aus unerwarteten Richtungen.
Wir nehmen die Äquidistanz zu allen Parteien sehr ernst. Wir arbeiten gleichzeitig aktiv daran, allen so nah zu sein, dass wir Entwicklungen als Erste mitbekommen – so wie gestern den Rücktritt der einstigen SPÖ-Hoffnung Mario Leiter in Bludenz. Und wir halten zu allen zuverlässig so viel Distanz, dass nie berechenbar wird, was morgen in der Zeitung steht.
Wir erbringen den Beweis, dass wir farbenblind sind, in der täglichen Berichterstattung: wenn ein ÖVP-Mandatar in einen fragwürdigen Grundstücks-Deal in Hard verwickelt ist, steht’s zuerst in den VN. Auch, dass ein blauer Innenminister zurücktreten soll oder wenn ein Grüner einen Versorgungsposten bekommt. Auch, wenn ein ÖVP-Bürgermeister sich beim Impf-Drängeln blamiert.
Interventionsversuche transparent zu machen, gehört zu den wirkungsvollsten Schutzmaßnahmen – vor allem, wenn sie aus der Regierung kommen. In diesem Fall aus der Landesregierung, die durchaus andere Mittel und Wege hat, sich zu wehren.
Anlass für die Angelegenheit war ein Tweet von Umweltlandesrat Johannes Rauch (Grüne), mit dem er sich am Freitag, dem 13. November weiter aus dem Fenster lehnte, als er es rückblickend wohl hätte tun sollen. Es könne nicht sein, dass “zwar alle Schulen schließen, aber Produktionsbetriebe weiterlaufen” schrieb er angesichts des neuerlichen Lockdowns auf Twitter und forderte, dass man entweder “so wie in Israel” in Großbuchstaben “ALLES” dicht machen oder Kinderbetreuung und Unterstufe offenhalten solle. Er wollte das als Argument zur Öffnung der Volksschulen verstanden wissen. Das ging längst nicht allen so.
Es gab einen Sturm der Entrüstung bei der Bevölkerung, selbst Regierungspartner Landeshauptmann Markus Wallner rüffelte Rauch, er solle “weniger twittern und mehr arbeiten“. Die VN schrieben, dass “nicht nur abgewählte Präsidenten” in sozialen Medien polarisieren können, sondern auch Vorarlberger Lokalpolitiker“. So weit, so bekannt.
Die Trumpsche Andeutung ärgerte den Umweltlandesrat so sehr, dass er darob eine vierseitige Beschwerde auf Amtspapier beim Österreichischen Presserat einreichte. Die VN erkennen den Ehrenkodex für die österreichische Presse an, wie nahezu alle Qualitätsmedien Österreichs. Der Kern der Beschwerde: Johannes Rauch mit Donald Trump außerhalb eines Kommentars zu vergleichen, sei eine „persönliche Diffamierung“ und „Verunglimpfung“. Das alles spricht nicht für Prioritätensetzung eines Regierungspolitikers in der Pandemie.
Der Presserat versucht durch Ombudsleute, Einigungen vor Verfahren zu finden. Rauch wünschte sich von uns als Ausgleich ein VN-Interview mit sich selbst “zu Wirtschaftsthemen”. Wir aber lehnen Wunsch-Interviews stets ab und taten das auch in diesem Fall. Rauch kam und kommt ja ohnedies weiterhin nahezu täglich in den VN vor.
Schon 2019 intervenierte der Landesrat in seiner Funktion schriftlich, da er befand, die Redaktion hätte Bundeskanzler Sebastian Kurz von seinem Regierungspartner ÖVP zu sehr gehuldigt. Ja, wir bildeten den Kanzler anlässlich der “Top 100”-Gala mehrfach ab. So wie in den Jahren zuvor übrigens die Bundeskanzler Christian Kern und Werner Faymann, beide SPÖ.
In der aktuellen Verhandlung sagte Rauch, dass er “in seiner Laufbahn noch nie versucht habe, über Einflussnahme die journalistische Freiheit anzuzweifeln oder gar Einfluss darauf zu nehmen”. Allerdings erscheine es ihm unpassend, mit dem ehemaligen US-Präsidenten Trump auf eine Stufe gestellt zu werden.
Der Senat des Presserats trat für eine klare Trennung von Bericht und Kommentar ein, entschied aber am Ende, dass durch den VN-Artikel “keine schutzwürdige Position des Beschwerdeführers” verletzt wurde. Die Beschwerde wurde mit dem Vermerk, dass der Vergleich noch von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, abgewiesen.
Es ist nicht unser Verständnis von Journalismus, über Berichterstattung mit Regierungspolitikern zu verhandeln – weder mit der ÖVP, der SPÖ, der FPÖ, Neos oder den Grünen. Wir werden es weiter mit dem seit 20 Jahren fälschlicherweise George Orwell zugeschriebenen Zitat halten: “Journalismus heißt, etwas zu drucken, von dem jemand will, dass es nicht gedruckt wird. Alles andere ist Public Relations.” Den Spruch hat sich ein Redakteur in Chicago 1918 auf seinen Schreibtisch gestellt. Und das ist heute noch gültig. Auch in Vorarlberg.
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