Was Daten in der Pandemie verraten

Experte Sprenger ortet in Österreich fehlenden Austausch und “weiße Flecken.”
Schwarzach, Graz Der grüne Pass ist in Österreich noch gar nicht eingeführt, schon löst er einigen Wirbel aus. Genau genommen geht es nicht um den digitalen Nachweis an sich, sondern um die gesetzliche Grundlage dafür. Datenschützer warnen, dass im Schatten des grünen Passes eine riesige Megadatenbank entstehen könnte, in der Daten zum Erwerbsleben, Einkommensniveau, Arbeitslosigkeiten, Bildungsweg, Reha-Aufenthalten und Krankenständen aller geimpften oder genesenen Personen, also annähernd der gesamten Bevölkerung, kombiniert werden. Das Gesundheitsministerium argumentiert hingegen mit einem effektiven Pandemiemanagement. Doch welche Daten braucht es dafür überhaupt? Und wie bekommt man sie?
Public Health-Experte Martin Sprenger hält Österreich für recht gut aufgestellt, was gesundheitliche Routinedaten angeht. Er verweist zum Beispiel auf den Krankenhausbereich, wo Aufnahme, Diagnose und medizinische Leistungen sehr genau dokumentiert seien. Daneben gebe es Register zu Geburten, zu Sterbefällen, Todesursachen und Krebserkrankungen. Von einem Datenmangel könne also nicht die Rede sein, sagt der Gesundheitswissenschaftler. Allerdings fehle der Austausch, etwa zwischen den neun Bundesländern und den Sozialversicherungsträgern. „Die Daten werden quasi einfach nur in großen Silos gesammelt.“
Gegenbeispiel Dänemark
Zu diesem mangelnden Austausch kämen auch “weiße Flecken”, also fehlende Datensätze in bestimmten Bereichen wie etwa dem niedergelassenen Bereich. Dort würden Diagnosen nicht direkt erfasst. Gerade in der Pandemie sei das ein großes Problem, meint Sprenger. Österreich habe vergleichsweise wenig Überblick über das Krankheitsgeschehen außerhalb der Spitäler. Als Gegenbeispiel nennt der Experte Dänemark. Da das skandinavische Land über eher wenige Krankenhausbetten verfüge, sei es auf eine effiziente Vorgangsweise mit tagesaktuellen Daten angewiesen. Ziel sei eine bedarfsgerechte Behandlung auf der richtigen Versorgungsstufe. Lande ein Covid19-Patient aus der Notaufnahme direkt auf der Intensivstation, weil er zuhause unzureichend betreut wurde oder sich aus Angst nicht gemeldet hat, sei es zu spät; kommen hingegen Personen ins Spital, obwohl diese vom Hausarzt behandelt werden könnten, zu früh.

Sprengers Vorschlag für ein effizienteres Pandemiemanagement besteht darin, zeitlich eng begrenzt für jede positiv getestete Person ein spezifisches Basisdatenset zu erheben. „Wir sprechen zum Beispiel von Alter, Geschlecht, Risikofaktoren, Beruf und anderen wichtigen Parametern. Damit könnte man herausfinden, wer sich infiziert, wer krank wird, wer auf der Intensivstation landet, welche Gruppen besser erreicht werden und wo es mehr Kommunikation braucht“, erläutert der Experte. Von diesem Basis-Set ausgehend, könnten auch weitere Informationen erhoben werden, wenn das für das Pandemiegeschehen nötig sei. Auch repräsentative, also generalisierbare Studien wie zum Beispiel die bereits in Österreich durchgeführte Antikörper-Querschnittsstudie hält er für wichtige Instrumente.
Was den aktuellen Gesetzesentwurf des Gesundheitsministeriums angeht, hat Sprenger Zweifel. Die Begründung für die geplante Datensammlung sei unzureichend. Davon abgesehen komme die Initiative reichlich spät. „Wir hätten von Anfang an jene Daten, die wir ohnehin schon haben, bestmöglich nutzen sollen, nicht nur für das Pandemiemanagement und die Wissenschaft, sondern auch für die transparente Kommunikation mit der Bevölkerung.“ Das sei nicht geschehen. Dabei machten die Nachbarländer Schweiz und Deutschland mit den wöchentlichen, datengestützten Berichten des Bundesamts für Gesundheit BAG und des Robert Koch-Instituts RKI vor, wie es besser funktioniert. Öffentliche Daten bedeuteten Transparenz, betont der Mediziner. „Damit können wir falschen Gerüchten und Mutmaßungen den Wind aus den Segeln nehmen.“
Änderungen geplant
Wie es mit dem Vorschlag zum grünen Pass weitergeht, ist vorerst unklar. Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein plane Anpassungen, hieß es. Der Beschluss soll kommende Woche im Nationalrat fallen.
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