Gerold Riedmann

Kommentar

Gerold Riedmann

Bregenz findet die Mitte

Politik / 03.07.2021 • 08:00 Uhr / 3 Minuten Lesezeit

Wer von den Hängen des Pfänderstocks den Blick über die Landeshauptstadt schweifen lässt, ist nicht allein beseelt von Schönheit. Denn das größte Potenzial der Stadt am See eröffnet sich unmittelbar.

Es klafft weiterhin die städtebauliche Wunde des Seestadt-Parkplatzes. Landesstraße und Bahn sind gnadenlos verlässliche Trennlinie zwischen Stadt und See. Über den Bahngleisen hängt, schlaffen Krakenarmen gleich, der erst 1990 fertiggestellte Bahnhof. Jeder rumänische Provinzbahnhof stellt mit seinem Charme den den Bregenzer Bahnhof in den Schatten. 

Zuletzt durften sich die Bregenzer ja vor knapp 15 Jahren Hoffnungen machen, dass nun wirklich etwas am Bahnhof und in der benachbarten Seestadt passiert: die damalige Erstellung eines “Masterplanes”, die ernüchternde Präsentation desselben. Hochtrabende Träume zerplatzen vor allem deshalb, weil an der drolligen S-Kurve der Stadtstraße am Bahnhof überhaupt nichts geändert wurde. Geht nicht. Darf man nicht. Muss man lassen. Gleicher Bahnverlauf, gleicher Straßenverlauf. Weil bei all den angrenzenden Bauprojekten isoliert, in Silos sozusagen, gedacht wurde. 

Zu oft versprachen Politik und Projektbetreiber, dass ein Auffahren der Bagger unmittelbar bevorstünde. Immer wieder wurden Hoffnungen enttäuscht. Die Ideen alterten nicht gut, verblassten zu rasch. Ein Bagger ward niemals gesehen.

Eines hat der neue Bregenzer Bürgermeister Michael Ritsch (SPÖ) in den vergangenen neun Monaten geschafft, was in den vergangenen neun Jahren unter dem alten Bürgermeister nicht möglich war: Seequartier, Seestadt und Bahnhof wurden von einer Architektengruppe mit internationalem Renommee übergreifend betrachtet. Alle eint die Liebe zu Bregenz. Es wird groß genug gedacht, vor allem aber in klugen Etappen: erst muss die Durchzugsstraße unter die Oberfläche, dadurch entsteht Platz für Neues. Und der Traum von der 1,5-Milliarden-Untertunnelung der Bahn wird so eingebettet, dass die Untertunnelung zwar grundsätzlich in ferner Zukunft möglich bleibt, aber allen klar ist, dass an diese Hoffnung nur die größeren Optimisten glauben werden.

Die Vision einer Landeshauptstadt, die um 6000 Menschen wächst und sich stärker mit dem See verwebt, ist es wert, sich noch einmal auf Basis eines neuen Masterplanes in ein zukünftiges Bregenz zu verlieben. Höchste Priorität hat nun in der Realität, gemeinsam mit Land und ÖBB das bereits eingetaktete Bahnhofsprojekt umzuplanen. 

Wohltuend: Ritsch spricht endlich über konkrete Projekte, verlässt sich auf Fachleute, vertraut nicht nur Parteifreunden. (Und er hätte sich viel Ärger ob seiner ungeschickten Personalentscheidungen zu Beginn seiner Amtszeit sparen können.) Er hat die erste Feuerprobe erfolgreich bestanden, pünktlich abgeliefert. Wenn, ja wenn er kurzfristig die notwendigen Mehrheiten in der Stadtregierung für das ambitionierte Zukunftsprojekt organisieren kann.